Der Schweizversteher
hören ist, bevor der erste
Tropfen getrunken wird. Schlimmstenfalls küssen sich manche Paare auch noch
kurz, nachdem sie sich âzum Wohlâ gewünscht haben, was die Sache weiter in die
Länge zieht. Diese ganze Prozedur ist ein Ausbund an Höflichkeit, kann aber
endlos wirken, wenn man nach Wasser lechzt und die letzten Worte kaum mehr
herausbringt, weil einem die Zunge am Gaumen klebt. Trotzdem sollte keiner
einen einzigen Schluck trinken, ehe nicht jeder mit jedem angestoÃen hat. Wehe
dem, der rasch am Glas nippt, ehe das ganze Brimborium vorbei ist! Dieser
Fehler wird mir kein zweites Mal unterlaufen.
Dann wird das Essen aufgetragen. Nun
darf kein Bissen Ihre Lippen berühren, ja Sie dürfen noch nicht einmal die
Gabel heben, bevor nicht jeder, dem Gastgeber folgend, jedem âen gueteâ (oder
âbon appétitâ beziehungsweise âbuon appetitoâ) gewünscht hat. Wenigstens das
darf man in die Runde hineinrufen und muss nicht jeden dabei mit Namen
ansprechen â es dauert also nicht lange, bis Sie zulangen dürfen. Die Schweizer
finden es unglaublich, dass so etwas nicht überall üblich ist. Zumindest in
deutschen Bürogängen erschallt mittags ja auch ein âMahlzeitâ, wann immer sich
nach
11.30 Uhr
Menschen begegnen. In der Schweiz hört man selbstverständlich âen gueteâ, wenn
der Kollege mittags das Büro verlässt, wenn sich die Familie an den Tisch setzt
oder wenn neben jemandem ein Unbekannter auf der Parkbank sein belegtes Brot
auspackt. Auch der Kellner sagt es, wenn er das Essen bringt, zumindest sollte
er es tun. Doch leider ist der Service in der Schweiz nicht ansatzweise so gut
wie das Essen. Vielleicht ist deshalb Trinkgeld nicht üblich, oder aber der
Service ist so schlecht, weil die Bedienungen wissen, dass sie
höchstwahrscheinlich kein Trinkgeld bekommen werden. Was auch immer der Grund
sein mag, guter Service ist jedenfalls eine Seltenheit.
Die meisten Schweizer Bedienungen
haben die Kunst vervollkommnet, durch einen hindurchzuschauen, als wäre man aus
Glas. Nicht, dass sie einen direkt ignorieren, sie nehmen einfach die zunehmend
hektischeren Versuche, auf sich aufmerksam zu machen, nicht wahr. Was dazu
führt, dass aus einem Lächeln oder halb erhobenen Finger ein vernehmliches
âEntschuldigungâ oder ein deutlicher Wink wird. Es folgen der gereckte Hals und
ein genervtes Stöhnen, doch egal, wie lange es auch dauert und wie verärgert
Sie auch sind, lassen Sie sich nie dazu hinreiÃen, âFräuleinâ oder âGarçonâ zu
rufen, oder Sie warten den Rest Ihres Lebens vergeblich. Den einzigen Vorteil
all dessen genieÃen Sie am Ende der Mahlzeit. Wenn endlich die Rechnung
gekommen ist, können Sie den Betrag einfach passend hinlegen und gehen â in der
Gewissheit, dass niemand das Geld stehlen oder Ihnen die Bedienung nachrennen
und zusätzlich 20  Prozent
Trinkgeld verlangen wird. Wir sind hier schlieÃlich nicht in Amerika.
â
Kein Berg zu hoch
Eisenbahn
und Tourismus â eine glückliche Verbindung
Aufgrund der Sprachbarrieren gibt es in der Schweiz
streng genommen keine landesweiten Zeitungen. Die Menschen in der Romandie
lesen viel eher eine in Frankreich erschienene Tageszeitung als eine
deutschsprachige aus ihrem Heimatland. Aber selbst in der Deutschschweiz hat
die ausgeprägt provinzielle Struktur der Schweizer Gesellschaft zur Folge, dass
in Zürich die wenigsten den Bund lesen würden, der in
Bern erscheint. Stattdessen greift man zur Regionalzeitung des eigenen
Wohnorts. Manchmal jedoch gibt es Nachrichten von kantonüberschreitender
Bedeutung: » SBB -Züge waren 2008 weniger pünktlich«,
lautete eine solche Schlagzeile, mit der niemand gerechnet hatte. Eine
erschütternde Feststellung, bis man den Bericht liest.
2008 kamen 95,8 Prozent der
Schweizerischen Bundesbahnen ( SBB ) pünktlich an, im
Vorjahr lag der Wert bei 95,9
Prozent. Das warâs. Ein Nachlassen um 0,1 Prozent ist eine Meldung
wert. Ausländische Eisenbahnchefs würden auf den Gleisen tanzen, wenn sie
solche Werte erreichten. In GroÃbritannien lag die Rate bei 90,6
Prozent, und die Deutsche Bahn hielt ihre Pünktlichkeitsstatistik jahrelang
geheim â wohl aus gutem Grund, denn unabhängige Prüfer ermittelten, dass jeder
siebte Fernverkehrszug zu spät kommt. Im Herbst 2011 ging die Deutsche Bahn
in die
Weitere Kostenlose Bücher