Der Schweizversteher
Verschworenen ja deshalb hier getroffen und
nicht unten in der Dorfkneipe, weil sie sich â ausgenommen das Ablegen eines Eids
zur gegenseitigen Hilfeleistung gegen die Ãsterreicher â einen schönen Tag auf
dem Land machen wollten.
Fragt man Schweizer, wer hier an jenem Tag auf der
Wiese stand und den Schwur leistete, können wohl die wenigsten einen,
geschweige denn alle drei Bündnispartner nennen. Ihr Antlitz wurde weder in
eine Bergwand gemeiÃelt noch auf Banknoten gedruckt, das wäre nämlich ganz
unschweizerisch. Auch wurden keine Städte nach ihnen benannt und kaum
Standbilder für sie errichtet â sie sind die unbekannten Gründerväter. Bevor
ihre Namen also endgültig dem Vergessen anheimfallen, seien sie hier genannt:
Walter Fürst aus dem Kanton Uri, Werner Stauffacher aus dem Kanton Schwyz und
Arnold von Melchtal aus dem Kanton Unterwalden. Diese drei, die ursprünglichen
Eidgenossen, standen hier in der Augustsonne, legten ihre linken Hände
aufeinander, hoben die Rechte in einer Art Pfadfindergruà und schworen einander
beizustehen durch Dick und Dünn, in Krieg und Frieden, für alle Zeiten, Amen.
Noch heute leisten Schweizer Politiker mit drei ausgestreckten Fingern â
Mittelfinger, Zeigefinger, Daumen â und den Worten »Ich schwöre« ihren Eid.
Auch wenn im Dunkeln bleibt, was sich wirklich am Rütli abgespielt hat,
unbestreitbar ist die Tatsache, dass im August 1291 von den ersten drei
Kantonen ein Bundesbrief unterzeichnet wurde. Und diese Gründungsurkunde ist
heute in einem eigenen Museum im Kanton Schwyz untergebracht, zweifellos eine
wichtige Station auf dieser historischen Zeitreise.
Die 35
Kilometer des Weges der Schweiz wären für stramme Wanderer in rund 15
Stunden machbar, denn immerhin ist das Auf und Ab von 350 Höhenmeter nicht
einmal, sondern viermal zu bewältigen. Für die meisten Schweizer ist so etwas
ein Spaziergang, aber Normalsterblichen empfiehlt es sich, die Strecke in
Etappen zurückzulegen und sich unterwegs die Kantone und die historischen
Stationen zu Gemüte zu führen. Und zwar ausgerüstet mit vernünftigen Schuhen
und einer Wasserflasche. Also lasse ich die Rütliwiese hinter mir und mache
mich auf zum ersten Grenzstein.
Auf den Pfaden der Historie
Bis zum Jahr 1220 waren die abgelegenen
Täler und Dörfer der heutigen Schweiz für niemanden von besonderem Interesse.
Dann wurde die Route über den Gotthardpass eröffnet, und alle wollten im
lukrativen Handel mit dem Mittelmeerraum mitmischen. Dafür musste man die
Bauern unter Kontrolle bringen, deren Täler den alleinigen Zugang zur Nordseite
des Passes boten, und irgendwann suchten diese schlieÃlich den Schutz von
Friedrich II. persönlich. Der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches gewährte
Uri und Schwyz Reichsunmittelbarkeit, das hieÃ, nur der Kaiser war ihr Boss und
kein lokaler Machthaber oder hergelaufener Herzog. Allerdings bot diese
weitgehende Selbstverwaltung keine ausreichende Sicherheit. Die Bösewichter
betraten in Gestalt der österreichischen Habsburger die Bühne; sie entsandten
Vögte und plusterten sich auf, um zu kriegen, was sie wollten. Das führte
jedoch dazu, dass die Schweizer noch fester zusammenhielten und schlieÃlich der
Rütli-Bundesbrief entstand, der einzige von mehreren Verträgen aus dieser Zeit,
der in schriftlicher Form überlebt hat.
Keiner der Urkantone hat eine groÃe Bevölkerung, sie
kommen also gemeinsam mit rund einem Kilometer Wegstrecke aus, aber es geht
stetig bergauf, ein Aufstieg, wie ihn die ersten Eidgenossen wohl auch
bewältigen mussten. Das groÃe Ereignis im Zeitrahmen dieses Kilometers war der
Schweizer Sieg gegen die Ãsterreicher bei der David-gegen-Goliath-Schlacht am
Morgarten 1315.
Eine Niederlage hätte der Schweiz womöglich kurz nach ihrer Geburt den Garaus
gemacht, der Sieg aber ermutigte Luzern, sich den Nachbarn am See
anzuschlieÃen. Dann stieà die Metropole jener Tage, die Stadt Zürich, zum Bund,
und plötzlich gehörte ein ansehnliches Territorium zu der jungen Konföderation.
Mit sehr vielen Menschen. Luzern und Zürich teilen sich mehr als sieben
Kilometer des Weges; wie schade, dass die kleineren Kantone nicht noch eine
Weile unter sich geblieben sind. Denn in diesen frühen Jahrzehnten tat sich
nicht viel, und so gibt es auf dem zweistündigen Weg keine groÃen
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