Der Schweizversteher
in
GroÃbritannien) gar keine Züge einzusetzen. Und sie sind an den Sonntagen
tatsächlich proppenvoll, im Winter mit Skifahrern, im Sommer mit Wanderern und mit
Touristen rund ums Jahr. Lediglich im Nahverkehr kann es passieren, dass an
Sonn- und Feiertagen Stadtbusse oder Pendlerzüge in die Vororte in weniger
dichtem Takt fahren. Eine einzige landesweite Einschränkung gibt es sonntags im
Verkehrswesen allerdings, und zwar dürfen keine
LKW
fahren. Was eine prima Sache ist.
Für die Schweizer ist der Sonntag ein
Tag der Ruhe und der Entspannung. Man sieht sich einen Film an, besucht den
Gottesdienst, verbringt den Tag mit der Familie oder geht spazieren. Vielleicht
genieÃt man auch ein bisschen Kultur. Die meisten Museen haben geöffnet, viele
schlieÃen dafür am Montag. Während also manche Menschen â Zugpersonal oder
Kinoangestellte â sonntags arbeiten wie an jedem anderen Tag, ruhen die meisten
anderen wie vom lieben Gott gewollt. Für die Glöckner ist es allerdings der
geschäftigste Tag der Woche, was eine Menge heiÃt, denn Schweizer Glocken
scheinen ständig zu läuten. Nichts mögen die Schweizer lieber als am
Sonntagmorgen bei Glockengeläut zu erwachen, ganz gleich welchen Glauben sie
verkünden.
â
Die Publikumsfrage
Wie
das Volk die Politiker kontrolliert
Löchriger Käse in dicken Scheiben und handgemachte
mehlbestäubte Ravioli; elegante Blumenbouquets und luftgetrockneter Schinken;
Bauernbrotlaibe mit krosser Kruste und frisch gepresster Apfelsaft; saftiges
Obst und knackiges Gemüse der jeweiligen Jahreszeit in Hülle und Fülle â¦
Beinahe jeder Standbesitzer auf dem Berner Wochenmarkt kommt aus der
unmittelbaren Umgebung und bietet hier bei jedem Wetter seine Produkte feil.
Auf den anderen Bauernmärkten in der Schweiz ist das ähnlich, dieser
unterscheidet sich nur durch seinen prominenten Standort am Bundesplatz, dem
politischen Epizentrum des Landes. Es ist, als stünden Marktbuden vor den
Houses of Parliament oder dem WeiÃen Haus â zumindest in England und den USA undenkbar, aber für einen Schweizer ganz normal.
Das soll nicht heiÃen, dass Politik in der Schweiz
nicht wichtig wäre â im Gegenteil! â, nur sind die Schweizer weit
pragmatischer, was ihre Flächennutzung angeht. Der Bundesplatz ist nicht der
Tiananmen oder der Trafalgar Square, sondern im Vergleich fast heimelig. Seine
überschaubaren AusmaÃe verhindern aber nicht, dass er vielfältig genutzt wird.
Einst war er ein Parkplatz, bis er bei einer dringend nötigen Instandsetzung
mit schicken (und sündteuren) Steinplatten gepflastert wurde. AuÃer dem Markt
finden hier politische Kundgebungen, Open-Air-Konzerte und
Beach-Volleyball-Turniere statt, und im Dezember ragt der nationale
Weihnachtsbaum in den Himmel. Im Sommer sorgt ein ebenerdiger Brunnen mit 26 aus
dem Boden schieÃenden Fontänen (für jeden Kanton eine) für groÃes Vergnügen bei
Kindern, die Erfrischung suchen.
Doch trotz seiner Mehrfachnutzung ist der Bundesplatz
in erster Linie ein politischer Ort. Er erstreckt sich vor dem
Parlamentsgebäude, einem imposanten Bau aus grünlichen Sandsteinquadern und
einer von einem goldenen Schweizer Kreuz gekrönten Kuppellaterne. Die Pracht
dieses Gebäudes verschleiert die Tatsache, dass die Schweizer Bundesversammlung
nicht viel Macht hat â die Entscheidungsgewalt liegt woanders.
Eine Volksrepublik
Der Markttag ist in fast jeder Schweizer Stadt ein
guter Zeitpunkt, um Politik in Aktion zu erleben. Nicht weil Reden gehalten
oder an den Ständen Parteiaktivisten agitieren würden, sondern weil es keinen
besseren Tag gibt, um Unterschriften zu sammeln. Ein Spaziergang durch die
Stadtmitte von Bern gleicht einem SpieÃrutenlauf, bei dem die SpieÃruten durch
Kugelschreiber ersetzt werden â jeder mit einem Klemmbrett Bewaffnete will Ihren
Namen auf seiner Liste. Das sind keine aufdringlichen Spendensammler, die es
auf Ihr Geld abgesehen haben, obwohl leider auch diese immer häufiger auf
Schweizer StraÃen anzutreffen sind. Und die Papiere sind keine nutzlosen
Petitionen, die der Regierung übergeben werden, ohne dass irgendjemand Notiz
davon nehmen würde. Wir sind hier in der Schweiz, wo das Volk die Macht hat und
sie auch nutzt. Eine Unterschriftensammlung ist der erste Schritt hin zu einem
Referendum, dem wichtigsten Werkzeug der direkten Demokratie.
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