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Der Schweizversteher

Der Schweizversteher

Titel: Der Schweizversteher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diccon Bewes
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Feuerwehrleute sind, die man mit dem Wachdienst betraut
hat. Und dass man bei Regen einen Schirm aufspannen darf, ihn aber bei den
Abstimmungen herunternehmen muss, damit die erhobenen Hände zu sehen sind. Am
aufschlussreichsten ist die Information, dass es bei der Landsgemeinde nicht nur ums Debattieren und Abstimmen geht, so wichtig das sein mag, sondern
um das Zusammengehörigkeitsgefühl. Tausende Wahlberechtigte aus dem ganzen
Kanton, nicht nur aus seiner Hauptstadt, kommen an einem Tag hier auf den
Platz, treffen sich mit alten Freunden, diskutieren brennende Fragen, gehen in
die Kirche, essen eine Wurst und entscheiden mit. Was an Anonymität fehlt, wird
durch das Gemeinschaftserlebnis wettgemacht.
    Bis wir mit dem Essen und Plaudern fertig sind, ist
die Landsgemeinde vorbei, und die Stimmberechtigten
verlassen den Platz. Die meisten tragen ihren Sonntagsstaat, was bei den
Männern meist dunkler Anzug heißt, sodass eine Stimmung wie bei einer
Beerdigung aufkommt. Noch bizarrer ist, dass viele Männer einen Degen tragen.
Bis 1991
war dieses sogenannte Seitengewehr der alleinige Nachweis für die
Wahlberechtigung (und wurde normalerweise bei jeder Abstimmung in die Luft
gestreckt); der Vater hat es dem Sohn vererbt. Heutzutage ist der Degen nur
noch ein feierliches Accessoire, obwohl Männer immer noch ihre
Stimmberechtigung damit nachweisen und die Stimmkarte stecken lassen können.
    Das Ganze mag altmodisch und engstirnig wirken,
dennoch verkörpert die Landsgemeinde am anschaulichsten
die direkte Demokratie, das Fundament der Schweizer Politik. Und auf
Gemeindeebene sind solche öffentlichen Versammlungen nicht unüblich, auch wenn
sie normalerweise in geschlossenen Räumen stattfinden. Die andere Form der
direkten Demokratie ist das Referendum.

Das Referendum für Anfänger
    Schweizer Politik ist im Grunde eher von Konversation
als von Konfrontation geprägt. Die Regierung ist eine fortwährende Koalition,
muss also mit jedem reden, um zu einem Konsens zu gelangen; die
Bundesversammlung wird nie von einer einzigen Partei dominiert, ist also eine
Quasselbude ersten Ranges; und das Volk kann durch die Referenden mitreden, die
ein integraler Bestandteil des Systems sind.
    1848 in der Bundesverfassung
verankert, gibt es Referenden für alles und gegen jedes. Auf kommunaler Ebene
zum Beispiel über Ladenöffnungszeiten oder eine neue Straßenbahnlinie; auf
Kantonsebene zu Antirauchergesetzen oder Fremdsprachenunterricht in den
Schulen; auf Bundesebene über den EU -Beitritt oder
den Mehrwertsteuersatz. Kurz gesagt, das Schweizer Volk hat das letzte Wort bei
fast jeder politischen Entscheidung, egal ob sie nur das eigene Wohnviertel
oder die ganze Schweiz betrifft. Diese demokratische Freiheit und das Recht,
gehört zu werden, sind für die Schweizer unveräußerliche Rechte und werden von
ihnen stolz als Grundlage ihrer Stabilität und Quelle ihres Wohlstandes
angesehen.
    Auch in anderen Ländern, beispielsweise in vielen
Bundesstaaten der USA , kennt man Volksreferenden,
doch nirgends werden sie in vergleichbarem Ausmaß genutzt wie hier. Als
Schweizer muss man drei- oder viermal jährlich abstimmen. Da ist es kein
Wunder, dass es unterschiedliche Arten von Referenden gibt, sonst wäre es
wirklich zu einfach. Manche sind obligatorisch, andere nicht; manche initiieren
einen Gesetzgebungsprozess, andere beenden ihn; manche erfordern eine einfache
Mehrheit, andere haben kompliziertere Vorgaben. Es ist wie mit dem Schnee bei
den Inuit, man hat viele Worte für dasselbe; deshalb hier eine Kurzanleitung zu
den Regeln auf Bundesebene:
    Â 
    â€“ 
Das obligatorische Referendum ist, wie der Name sagt, zwingend vorgeschrieben
bei jeder Verfassungsänderung oder dem Antrag auf Beitritt zu internationalen
Organisationen wie etwa der EU .
    â€“ 
Das fakultative Referendum: Bundesbeschlüsse und Bundesgesetze können zur
Volksabstimmung vorgelegt werden, wenn 50 000 Stimmberechtigte oder
acht Kantone (was aber eigentlich nie vorkommt) dies innerhalb von hundert
Tagen verlangen. Da immer die Drohung in der Luft liegt, die Wähler könnten die
Entscheidung rückgängig machen, bemüht man sich bei der Gesetzgebung meist von
vornherein um einen mehrheitsfähigen Kompromiss.
    â€“ 
Die Volksinitiative: Jeder kann eine Abstimmung zu einem beliebigen Thema
vorschlagen, solange damit weder Verfassung noch internationales Recht

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