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Der Schweizversteher

Der Schweizversteher

Titel: Der Schweizversteher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diccon Bewes
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– einerseits weil die Schweizer es nicht
nötig haben, ihren Reichtum durch Toto zu erwerben, andererseits weil sie, wenn
sie es täten, nicht möchten, dass ihre Nachbarn es erfahren. Dem Glücksspiel
frönt man daher am besten in den eigenen vier Wänden oder in einem Spielkasino
– davon gibt es zwanzig legal betriebene, die über das ganze Land verstreut
sind.
    Es gehört sich einfach nicht, über Geld zu reden.
Deshalb stehen in Stellenanzeigen auch keine Angaben zum Gehalt, denn das würde
bedeuten, dass jeder weiß, wie viel Sie verdienen. Und so etwas kommt nicht
infrage. Als Arbeitsuchender müssen Sie also wissen, wie viel in der Branche
bezahlt wird und wie hoch Sie Ihren Wert einschätzen. Am Ende des
Vorstellungsgesprächs kommt nämlich der Augenblick der Wahrheit, in dem über
Ihr Monatsgehalt gesprochen wird, und das ist für alle, die das Schweizer
System nicht kennen, ein surreales Erlebnis. Sie müssen dann nämlich ein
Angebot machen, das von einem Gegenangebot gekontert wird, wobei beide Seiten
wissen, dass die meisten Firmen ein 13. Monatsgehalt zahlen, mit dem Sie Ihre
Steuern begleichen können (siehe unten). Zuletzt einigen Sie sich auf ein
Salär, mit dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer leben können. Man feilscht also wie
auf dem Basar, was bei Menschen, die nicht gern über Geld sprechen, seltsam
anmutet, doch in Wirklichkeit ist es typisch schweizerisch. Auch wenn’s ums
Geld geht, greift dasselbe System wie immer: Dank Kommunikation und Kompromiss
erreicht man einen Konsens, mit dem alle zufrieden sind.
    Vielleicht reden die Schweizer ja nicht gern über
Geld, weil das Land nicht immer reich war. Und als rohstoffarmer Binnenstaat
ohne Kolonien konnte es mit den europäischen Großmächten nicht mithalten. Das
hat sich gegen Ende des 19.  Jahrhunderts
mit dem Aufkommen der Eisenbahn und des Tourismus geändert, aber schon eine
ganze Weile vorher hatten die Schweizer Bankiers einen guten Ruf. Obwohl man im
Land selbst wenig Geld hatte, kümmerten sich die Eidgenossen zuverlässig um das
Vermögen anderer. Das hatte mit dem Bankgeheimnis, das in der Schweiz erst 1934
gesetzlich verankert wurde, wenig zu tun, dafür aber viel mit Stabilität,
Redlichkeit und Sicherheit. Im Grunde ging es ums Vertrauen.

Der Krieg, den es nie gab
    Dennoch ist es sehr viel weniger peinlich, übers Geld
zu reden als über den Krieg. Dieses Thema meiden Schweizer wie die Pest.
Zugegeben, sie waren nicht direkt beteiligt, aber man gewinnt dort fast den
Eindruck, er habe sich gar nicht ereignet. Er ist der berühmte Elefant im
Wohnzimmer, den jeder übersieht, sobald man über Deutschland oder die jüngere
Schweizer Geschichte spricht. Zum Krieg gibt es weder Witze noch gemeinsame
kulturelle Gepflogenheiten: Knöllchenverteiler werden nicht als »Blockwarte«
bezeichnet, TV -Komödien veralbern nicht wie in
England die französische Résistance, und Wahlplakate werden nicht mit
Hitlerbärtchen versehen. NS -Symbole und Mein Kampf sind verboten, es gelten also dieselben Regeln
wie in Deutschland, obwohl die Schweizer nicht zum Dritten Reich gehörten. Da
fragt man sich doch, warum? Es ist, als würden sie sich für die Vergangenheit
schämen, sich wegen etwas schuldig fühlen, was sie getan oder unterlassen
haben. Besser schneidet man das Thema nicht an, als so viel Unbehagen
auszulösen. Typisch Schweiz eben.
    Das liegt teilweise an der Hassliebe zu den Nachbarn
im Norden, bei der nicht selten der Hass überwiegt. Deutschland wird oft halb
im Scherz als der »große Kanton« bezeichnet, und der jüngste Zustrom von
Tausenden Deutschen – ihre Zahl hat sich zwischen 2002 und 2010
mehr als verdoppelt und liegt inzwischen bei über 250 000 – hat die Spannungen
eher verstärkt als gemildert.
    Anscheinend sind die Deutschen die Einzigen, die bei
den Schweizern Minderwertigkeitsgefühle auslösen, und das ist an sich schon
eine Leistung. Ein Grund dafür ist die Sprache. Das Hochdeutsch der
Neuankömmlinge klingt direkter und weniger charmant als die schwyzerdütschen
Dialekte, deshalb wirken die Deutschen, jedenfalls für das Schweizer
Feingefühl, arrogant und grob. Deutschsprechende ernten manchmal abfällige
Bemerkungen und Schlimmeres, und selbst Engländer, die in der Schule
Hochdeutsch gelernt haben, bleiben davon nicht verschont. Aber Hochdeutsch

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