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Der Schweizversteher

Der Schweizversteher

Titel: Der Schweizversteher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diccon Bewes
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Krisen verursachen und damit den großen Reibach machen. Wie sich
doch die Welt verändert hat!
    Die einzigen Gnome, die man heute in Zürich sieht,
sind die gemeinen Gartenzwerge im Schaufenster einer Samenhandlung: fröhliche,
bunt gekleidete Kerlchen mit Zipfelmützen. Am Paradeplatz, dem Standort der
beiden Schweizer Großbanken, begegnet man hingegen nur seriös gekleideten Männern
von normaler Statur und größtenteils bartlos, wenngleich nicht wenige einen
Schnurrbart tragen, der sich bei Schweizern einer irritierenden Beliebtheit
erfreut. Der eine oder andere hat auch eine Melone auf dem Kopf, die aber eher
modisches Statement als ein Statussymbol ist. Unterscheiden sich Schweizer
Banker von der übrigen Bevölkerung? Kaum, und gewiss nicht so wie die Merchant
Banker in London, die eine Spezies für sich sind.
    Banker werden in der Schweiz weder als Herren des
Universums verehrt noch als niedrigste Lebensform unter den Schlammbewohnern
geschmäht. Wie viele andere Schweizer in anderen Berufen sind sie einfach da,
arbeiten ihre 42
Wochenstunden und tragen zum Erfolg des Landes bei. Vielen Schweizern tun sie
sogar leid – und zwar wegen ihrer Kleidung. In der Schweiz, wo elegante
Lässigkeit ein Lebensstil ist, werden Anzüge nur von Bankern sowie von Juristen
und Politikern getragen (und bei denen gibt es Ausnahmen von der Regel).
Einladungen enthalten fast nie Dresscodes, denn das würde zwei Kardinalregeln
verletzen: Man würde andeuten, dass man den Gästen nicht zutraut, in geeignetem
Outfit zu erscheinen, und man würde in ihre Privatsphäre eindringen, indem man
ihnen vorschreibt, was sie anziehen sollen. Vertrauen und Privatsphäre aber sind
in der Schweiz in allen Bereichen vorrangig, erst recht wenn es um
Bankgeschäfte geht.

Vertrau mir, ich bin Schweizer
    Ein Bild soll ja mehr sagen als tausend Worte, aber
manchmal vermittelt erst ein Wort das richtige Bild. Im Fall der Schweiz sind
die zahllosen Fotos von Almhütten, Bergen und Zügen schöne Postkartenmotive,
aber keines bringt das Wesen des Landes auf den Punkt. Dafür braucht man ein
Wort: Vertrauen. Nichts verrät mehr über die Schweizer, ihr Land und ihre
Lebenshaltung als dieses Wort. Vertrauen verbindet sie miteinander. Wenn es
darum geht, die richtige Entscheidung zu treffen, setzen sie Vertrauen
ineinander und nicht in Politiker. Ladeninhaber stellen Tische mit ihren Waren
unbeaufsichtigt vor die Tür, Überwachungskameras glänzen durch Abwesenheit, und
Mäntel werden am Eingang des Restaurants auf einen Bügel oder an einen Haken
gehängt und nicht über die Stuhllehne. Und zwar weil die Schweizer darauf
vertrauen, dass ihre Mitbürger weder Regeln verletzen noch das System betrügen.
Natürlich gibt es auch hier Diebe, Einbrecher, Sozialhilfebetrüger und
Steuerhinterzieher, aber entweder schlagen sie seltener zu als anderswo oder
ihre Taten werden nicht ruchbar. In einer Gesellschaft zu leben, die auf
Vertrauen basiert, stellt einen jedoch vor größere Probleme als so ein paar
Gaunereien. Denn in einer solchen Gesellschaft stellt man keine Fragen und geht
davon aus, dass jeder ebenso anständig ist wie man selbst.
    Dass kaum Fragen gestellt werden, hängt nicht nur mit
dem Vertrauen zusammen, sondern auch mit der Privatsphäre, die dem Schweizer
über alles geht. Man schnüffelt nicht herum, weil man weiß, dass die Nachbarn
sich an die Regeln halten. Das Verhalten anderer wird nicht hinterfragt, weil
sie uns ihr Wort gegeben haben, dass es moralisch einwandfrei ist. Man greift
nur ein, wenn offensichtlich ist, dass der andere eine Grenze überschritten
hat. Das ist großartig, solange alle dieselben Spielregeln beachten, aber im
wirklichen Leben ist das nicht immer der Fall. Konfrontiert mit Unredlichkeit
und Betrug, reagieren Schweizer häufig mit charmanter Ungläubigkeit und
beunruhigender Naivität. Oder vielleicht ist das auch alles nur Theater, und
sie haben einfach ausgeblendet, was sie nicht sehen wollen. Wie die Wahrheit
aussieht, ist zumindest im Fall der Schweizer Banken schwer zu beurteilen.
    Das Bankwesen ist vielleicht das größte der vielen
Klischees von der Schweiz, und in einer Hinsicht trifft es zweifellos zu: Es
gibt in diesem Land eine Menge Banken. Neben den beiden großen ( UBS und Crédit Suisse) finden wir 326 kleinere Banken mit
über 3400
Filialen, die 2010
insgesamt

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