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Der Schweizversteher

Der Schweizversteher

Titel: Der Schweizversteher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diccon Bewes
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Grad
Celsius, bis es gerinnt. Darauf muss man das Ganze mit dem Bruchschneider
zerkleinern und langsam auf 55
Grad Celsius erhitzen. Anschließend den Käsebruch in eine Form gießen und einen
Tag lang trockenpressen, dabei hin und wieder wenden. Nun 24 Stunden in ein Salzbad
legen. Danach muss der Laib mindestens vier Monate in einem kühlen, feuchten
Keller reifen, wobei man ihn regelmäßig wenden, waschen und abreiben sollte.
Dann anschneiden und essen.
    Um ein Kilo Emmentaler zu produzieren, braucht man
zwölf Liter Milch, was heißt, dass in einem ganzen Emmentaler unheimlich viel
Milch steckt. Denn so ein Käserad ist wirklich riesig: Jedes hat einen
Durchmesser von einem Meter, ist 25 Zentimeter hoch und wiegt bis zu 120
Kilogramm. Deshalb sieht man fast nie Emmentaler Dreiecke: Gewöhnlich wird er
zu rechteckigen Blöcken geschnitten, denn als Tortenstück wäre jedes 50
Zentimeter lang. Sehr unpraktisch für eine normale Käseplatte. Die Löcher
wiederum entstehen durch eingeschlossenes CO 2 , das gegen Ende des
Reifungsprozesses von Bakterien bei ihrem Verdauungsprozess ausgestoßen wird –
ja, sie pupsen. Korrekt spricht man nicht von Löchern, sondern von Augen – der
Emmentaler ist quasi der radschlagende Pfau unter den Käsen –, deren Größe sich
durch Temperaturveränderung beim Erhitzen und die Dauer der Härtungszeit
beeinflussen lässt.
    Löcherkunde ist aber nicht das Einzige, was ich in der
Schaukäserei lerne. Ich erfahre auch, was es mit AOC auf sich hat (nein, wir kochen kein Fondue mit edlem Wein). Offenbar ist
Emmentaler nämlich nur der Name für die Methode, nach der dieser berühmte
Schweizer Käse hergestellt wird, er kann sonst woher stammen. Emmentaler AOC hingegen ist eine geschützte Marke für Käse, der
ausschließlich in einem bestimmten Schweizer Gebiet produziert wird, und zwar
aus Rohmilch, die keine zwölf Stunden alt sein darf und von Kühen stammt, die
mit frischem Gras oder Heu gefüttert wurden. Jedes Käserad ist nummeriert, sodass
seine Herkunft zurückverfolgt werden kann, außerdem prangt auf jedem wie auf
bestimmten Weinen der Stempel AOC ( Appellation d’Origine Contrôlée ).
    Schweizer Käse schmecken so köstlich, weil sie keine
Massenware sind. Auch wenn sie nicht gerade in Handarbeit auf Almhütten
entstehen. In der Schweiz werden jährlich 180 000 Tonnen Käse produziert,
wovon etwa ein Drittel exportiert wird. Ein großer Anteil wurde in Hunderten
von Dorfkäsereien aus der Milch der umliegende Höfen hergestellt. Unbestritten
verfügen viele Käsereien über modernste Technik. Nicht überall simmert die
Milch wie einst in Kupferpfannen über Holzfeuer, obwohl man das in der
Schaukäserei noch sehen kann. In einem alten Holzhaus stellt ein entsprechend
knorriger Herr den Käse noch auf traditionelle Weise her: in einem riesigen
Kessel, der über dem offenen Feuer hängt. Selbst in den anderen Räumen riecht
es, als sei das Haus aus Käse gebaut. Vielleicht ist es das ja auch – eine
Schweizer Version des Knusperhäuschens, wo nur das Alter und der Rauch die
Wände aussehen lassen, als seien sie aus Holz.

Die käsigste Stadt weit und breit
    Nicht nur der Emmentaler gilt als typischer Schweizer
Käse, in der französischsprachigen Schweiz übernimmt diese Rolle der Gruyère,
auch als Greyerzer bekannt. Zusammen, am besten halbe-halbe, ergeben sie das
perfekte Fondue. Zwei Sprachen, zwei Käse, beide Schweizer Herkunft und beide
Teil des Schweizer Nationalgerichts schlechthin: Französisches und Deutsches in
kulinarischer Harmonie vereint.
    Selbst in einem Land voller pittoresker Städtchen
wirkt Gruyères (ja, aus irgendeinem Grund hat die Stadt im Gegensatz zum Käse
ein »s« am Ende) auf den ersten Blick besonders anziehend. Hoch über dem Tal
thront eine Burg auf einem Felsen inmitten eines Rings aus höheren Bergen. So
muss der Turm ausgesehen haben, von dem Rapunzel ihr goldenes Haar
herunterließ.
    Schweizer Burgen sind eher Märchenschlösser als
militärische Festungen. Statt Zinnen, Bergfried und Ringmauern sieht man hier
Spitztürmchen und überdachte Festungswälle um den eigentlichen Schlossbau in
der Mitte. Schloss Gruyères passt ins Muster, wirkt aber dennoch ziemlich
abweisend, vielleicht wohnt hier doch Dracula und nicht Rapunzel.
    Wie jeden

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