Der Schweizversteher
1970ern lieber unter
blinkenden Discokugeln vergnügt haben oder noch gar nicht auf der Welt waren,
hier eine kurze Beschreibung oder vielleicht Erinnerung, worum es geht. Ein
Fondue ist ein Käse-Wein-Gemisch, das in einem Keramiktopf, dem caquelon , erhitzt und dann auf einem Ständer mit einer Art
flachem Bunsenbrenner, dem Rechaud, mitten auf dem Tisch warm gehalten wird.
Man spieÃt Brotwürfel auf eine lächerlich lange Gabel, tunkt sie in die
klebrige Wein-Käse-Mischung, dreht sie darin rasch um die Achse und versucht,
den käsegetränkten Würfel in den Mund zu bugsieren, ohne zu kleckern. Wenn das
Brot in den Topf fällt, muss man BuÃe tun, etwa indem man die Sitznachbarin
küsst. Das hängt allerdings davon ab, wie viel Wein beide schon getrunken haben
und wer die Nachbarin ist.
Selbstverständlich ist das Schweizer Fondue kein
kulinarischer Gag für eine Saison, sondern ein traditionelles Gericht, das es
hier schon seit ewigen Zeiten gibt. Allerdings handelt es sich eher um ein
wärmendes Wintergericht wie andernorts Eintopf oder Auflauf. Nur Touristen
essen Fondue bei über 20
Grad Celsius im Schatten, Schweizer nie. Und da kann man ihnen nur recht geben:
Wer mag schon in brütender Sommerhitze heiÃen Käse essen? Zum groÃen Amüsement
der Einheimischen ist es aber genau das, was Scharen von Touristen tun.
Ebenso schockierend ist zweifellos, mit ansehen zu
müssen, wie Besucher gegen die drei Kardinaltugenden beim Fondueessen verstoÃen:
Zunächst das Wichtigste: Die Gabel darf beim Essen nie
Zunge, Zähne oder Lippen berühren, und zwar schlicht deswegen, weil sie wieder
in den Topf getunkt wird.
Zweitens darf man beim Essen nichts Prickelndes
trinken, schon gar kein kohlensäurehaltiges Mineralwasser, denn dadurch wird
ein sowieso schon schwer verdauliches Essen zu Blei. Besser passt WeiÃwein oder
schwarzer Tee dazu.
Und nicht zuletzt: Wenn das Fondue aufgetunkt ist, hat
sich unten im Topf, wo die Hitze am gröÃten war, eine Käseschicht zu einer
Kruste verfestigt. Essen Sie unbedingt von la réligieuse (der
Name dieser Köstlichkeit ist das französische Wort für Nonne), aber essen Sie
es keinesfalls allein auf. Für die meisten Schweizer ist es das Beste vom
Fondue, weshalb es geteilt werden sollte.
Zwar ist die Ansicht weit verbreitet, Fondue sei das
einzige warme Schweizer Käsegericht, aber es gibt auch noch das Raclette.
Seinen Ursprung hat es im Wallis in der Südschweiz. Wie Fondue ist es
hervorragend geeignet, wenn man in einer Runde zusammen essen will, und die
meisten Supermärkte verkaufen die speziellen Tischgrills und passend
aufgeschnittenen Raclettekäse. Traditionalisten, also die meisten Schweizer,
essen Raclette nur mit eingelegten Zwiebeln und Essiggurken als Beilage, durchgeknallte
Typen aber kombinieren manchmal auch Ananas, kleine Maiskolben, Kirschtomaten
und Ãpfel damit. Ich bin einer dieser Exzentriker, fürchte aber, dass eine
missgestaltete Gurke das Aufregendste sein wird, was man in Gruyères zu einem
Raclette serviert bekommt. So ein Ort ist das hier.
Wie vermutet wird mein Raclette mit den traditionellen
(aufs ÃuÃerste beschränkten) Beilagen gebracht. Dafür ist der Grill
auÃergewöhnlich. Ein groÃes Käserechteck hängt unter etwas, das wie eine
Miniausgabe dieser Wärmepilze aussieht, die vor Bars und Kneipen stehen. Die
oberste Schicht schmilzt, und ich kratze sie mit einem Holzspatel ab â daher
der Name, auf Französisch heiÃt kratzen oder schaben racler â und schmiere sie sofort auf die kleinen, noch ungeschälten Pellkartoffeln. Es
ist ein schweres und damit typisch schweizerisches Gericht; zu den langen
Wintern und strammen FuÃmärschen passen einfach keine Miniportionen
irgendwelcher Leckereien. Für den Schweizer darf es ruhig deftig und nahrhaft
sein. Nach so etwas ist entschieden kein Platz mehr für das traditionelle
Gruyères-Dessert: Meringues mit Himbeeren und Schlagsahne.
Gruyères ist sozusagen die Käsehauptstadt der Schweiz.
Einerseits ist es ein unbestritten bildhübscher Ort und im Winter, wenn es hier
mehr Schneeflocken als Touristen gibt, sogar noch hinreiÃender, aber die
ungenierte Vermarktung des Käsethemas nervt. Natürlich kann man sich dabei auf
ureigene Traditionen berufen, auch wenn die Urigkeit etwas aufgesetzt wirkt.
Aber verglichen mit dem traditionellen Emmentaler
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