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Der Schweizversteher

Der Schweizversteher

Titel: Der Schweizversteher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diccon Bewes
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die Gebräuche der Vergangenheit sind noch heute
lebendig, und fast jede Gemeinde hat ihre eigenen, die ganz selbstverständlich
und nicht wegen der Touristen geschätzt und hochgehalten werden. Beispielsweise
wird der Almauftrieb im Berner Oberland und in Appenzell im Frühjahr groß
gefeiert. Die Kühe sind mit Blumen, Glocken und Fähnchen geschmückt, oft gibt
es einen Schönheitswettbewerb, bei dem die Königin für diesen Sommer gewählt
wird. Im Herbst gibt es erneut die Gelegenheit für einen Umzug und ein Fest,
wenn das Vieh wieder talwärts getrieben wird. Natürlich ist dies ein beliebtes
Schauspiel, das viele Städter anzieht, doch vor allem geht es darum,
Traditionen aufrechtzuerhalten. Selbst wenn das heißt, dass man Hudigäggeler hören und so tun muss, als gefalle einem diese
Schweizer Version der Humtata-Musik, die gewöhnlich von einem Männertrio mit
Akkordeon, Kontrabass und Klarinette oder Tuba zum Besten gegeben wird. Nach
etwa zwei Liedern klingen alle gleich, doch die Schweizer lieben diese Musik so
sehr, dass man sie oft im Fernsehen erleben kann – und zwar im Hauptprogramm
zur besten Sendezeit, nicht bei einem Spartenkanal um drei Uhr morgens mit 17 von
Schlaflosigkeit geplagten Zuschauern.
    Es gibt auch drei traditionelle
Sommer-Nationalsportarten, das Hornussen , das Schwingen und das Steinstossen .
Das Hornussen ist ein verrückter Mix aus Golf und Baseball, ein
Mannschaftssport, bei dem das eine Team einen Hartgummipuck in die Luft schlägt
und das andere versucht, ihn mit gewaltigen Paddeln herunterzuholen. Besonders
beliebt ist diese Sportart im Emmental. Schwingen ist rustikales Ringen, das
unter freiem Himmel in einem Sägemehlring stattfindet. Meist sind die Schwinger
im normalen Leben Käser oder Schreiner: kräftige Männer, die eine Art
Sackleinenwindel über ihrer Kleidung tragen. Der Sieger erhält einen Kranz oder
eine Kuhglocke – Geldpreise gibt es keine. Ebenso kräftig gebaut sind die
Steinstosser, die einen Steinbrocken so weit wie möglich von sich wuchten.
Ähnlich wie beim Kugelstoßen, nur dass die Steine zwischen vier und 50
Kilogramm wiegen. Alle drei Jahre gibt es beim Schwing- und
Älplerfest in allen drei Sportarten Wettkämpfe , dazu
Jodelmusik, Alphornbläser und Fahnenschwinger. Es handelt sich um eine Art
Schweizer Brauchtums-Olympiade. Der Sieger im Schwingen wird zum Schwingerkönig
ausgerufen und bekommt einen lebenden Stier als Preis. Nachdem der Schreiner
Jörg Abderhalden zum dritten Mal Schwingerkönig geworden war, hat man ihn zum
Schweizer des Jahres 2007
gewählt – so angesehen ist dieser Sport.
    In der Schweiz gibt es praktisch keinen raschen Wandel,
und genau das mögen die allermeisten Schweizer. Wenn Sie in zwanzig Jahren
wiederkommen, wird höchstwahrscheinlich immer noch Punkt zwölf Uhr das
Mittagessen serviert, bei Käsefesten spielen Hudigäggeler -Trios,
und die Geschäfte sind sonntags immer noch geschlossen. All das macht die
Faszination der Schweiz aus mit ihrem wachem Sinn für Geschichte und einem so
starken Gemeinschaftsgefühl, dass ich mich frage, ob sich hier überhaupt je
etwas ändern wird. Aber natürlich hat der Fortschritt seine eigene Dynamik,
sodass selbst die traditionellsten Teile der Schweizer Gesellschaft sich ihm
nicht völlig entziehen können.

Wie Käse gemacht wird
    Alt und Neu koexistieren in der Schweiz scheinbar
ziemlich problemlos. Ein schönes Beispiel dafür ist die Emmentaler Schaukäserei
Affoltern (ebenfalls i. E.): Hier können Sie zusammen mit Busladungen
aufgeregter Schweizer Omis zuschauen, wie der berühmte Käse gemacht wird, und
sich mittels mehrsprachiger Kopfhörer alles über den Vorgang erklären lassen.
Durch riesige Plexiglasscheiben von der Käserei getrennt, blickt man auf
gewaltige Bottiche hinab, in denen Milch geschleudert wird. Es weht einem sogar
der typische Geruch entgegen, vor allem unten, wo die großen Käseräder in
Regalen liegen. Als würde man die Nase in fremde Schuhe stecken.
    Jedenfalls kenne ich jetzt das perfekte Rezept für
Emmentaler. Man nehme eine Kuh, füttere sie täglich mit 100 Kilogramm frischem
Gras, gebe 85
Liter Wasser dazu und lasse sie wiederkäuen. Wenn man sie dann zweimal täglich
melkt, gibt sie bis zu 22
Liter ihres weißen Goldes. Man füge Lab hinzu und erwärme alles bei 32

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