Der Schwimmer: Roman (German Edition)
kam Jenő zur Welt. Als ihr zweites Kind starb und ihr drittes geboren wurde, setzte Zsófi durch, daß Jenő auf einem geschenkten Klavier Stunden bekam. Einmal in der Woche lehrte die Frau des Pfarrers ihn spielen. Manchmal stand Zsófi dabei im Türrahmen und summte mit.
Während Isti Buchstaben auf Papier malte und sie laut vor sich hersagte, begann ich, Bücher zu lesen, deren Geschichten ich kaum verstand. Im Wohnzimmer standen auf einem einzigen Regal Petőfi, Jókai, Zilahy. Broschierte Bändchen, die sich anfühlten, als fielen sie bald auseinander. Ich griff wahllos nach einem und las laut daraus vor. An jedem Tag ein, zwei Seiten, nicht mehr. Manchmal hörte mir Isti zu und wiederholte langsam einzelne Worte, um sie sich einzuprägen: Unzüchtig. Findig. Anmutig. Ich zeigte ihm, wie sie auf dem Papier aussahen, wie es aussah, wenn man sie aufschrieb. Was soll das heißen: unzüchtig?, fragte Isti. Ich wußte es nicht.
Ich verbrachte viele Nachmittage in Évas Haus. Ich empfand nichts für Éva, aber in ihrem Haus beruhigte ich mich. Es gab kein Geschrei, keinen Dreck, keine Gummistiefel, die man neben der Küchentür zum Trocknen auf ein Gitter stellte. Ich half Éva, die Betten zu beziehen, und ich half ihr beim Bügeln. Ich hielt Laken und Tischtücher mit beiden Händen fest, wenn Éva das heiße Eisen über den Stoff gleiten ließ und sich dabei die feuchte, warme Luft wie ein Film auf meine Haut legte. Ich durfte Évas Haarbürsten benutzen, ihre Kleider anziehen und meine Lippen vor einem Wandspiegel mit ein, zwei Strichen rot anmalen. Éva gab mir kleine Geschenke. Haarspangen, die sie über meiner Stirn festklemmte, Strümpfe, die sie zu heiß gewaschen hatte, einen Teelöffel, dessen Griff unser Parlament zeigte. Éva hatte eine ganze Löffelsammlung. Nach dem Bügeln setzte sie Wasser auf, kochte Tee, und wir nahmen uns zwei Löffel aus ihrer Sammlung, mit denen wir den Kristallzucker langsam verrührten. Es war ruhig in Évas Haus, und mich umgab diese Stille wie ein weiches Laken.
Wenn Karcsi nicht da war, wenn der Wagen nicht vor der Einfahrt parkte, warf mein Vater Steinchen ans Fenster und stand so lange vor Évas Haustür, bis sie ihn hereinließ und er mich unter einem Vorwand wegschickte. Zsófi braucht deine Hilfe, Isti hat nach dir gesucht, geh und hilf Pista beim Ausladen. An einem dieser Tage sah ich Karcsis Vater aus der Ferne auf mich zukommen. Ich dachte daran, zurückzugehen und vom Gartentor aus zu rufen, daß er auf dem Weg sei. Aber wozu? Wir begrüßten uns, und ich sagte, ja, Éva ist da, mein Vater auch, ich allerdings muß zurück zum Hof, Zsófi wartet auf mich. Karcsis Vater trug eine Mütze aus Fell und hatte seinen Schal so umgebunden, daß nur seine Augen zu sehen waren. Sie hatten dasselbe wäßrige, durchsichtige Blau wie Karcsis Augen. Ich ging nur langsam weiter, so als würde ich etwas abwarten wollen, drehte mich an der nächsten Abzweigung um und sah, wie Karcsis Vater hinter dem Haus verschwand.
Am nächsten Morgen lagen Brotrinden, stinkende, faulende Reste, Kartoffelschalen, Knochen vor unserem Tor und im Graben. Jemand hatte sie nachts dorthin geworfen, jemand hatte seine Kübel hier geleert, hier, vor unseren Fenstern, während wir geschlafen hatten. Schweinefraß, über den sich jetzt eine dünne Schicht aus Eis legte. Wir standen am Gartentor, Isti hielt sich die Nase zu, und Pista rief, was steht ihr da und glotzt, holt was zum Aufsammeln, na, wird’s bald. Jenő drückte uns Eimer in die Hände, stellte sich vor uns in den Graben und begann, den Dreck wegzuschaufeln. Ich trug die vollen Eimer zum Schweinestall und leerte sie dort aus. Wir brauchten Stunden. Als es hell wurde, kamen Nachbarn. Sie fragten nicht, was passiert war. Sie blieben auf der anderen Straßenseite stehen und schüttelten die Köpfe. Wie ein Abdruck blieb eine feine braune Schicht zurück. Der Schnee wird es zudecken, sagte Zsófi und schaute zum Himmel, heute abend wird es schneien. Aber ein Rest blieb zu sehen, vor dem Tor, trotz des Schnees, der am Abend kam, ein Rest blieb den ganzen Winter lang und erinnerte uns jeden Morgen, wenn wir das Haus verließen, an etwas. Es war etwas mit Éva, das wußte ich. Noch an diesem Abend sagte Pista, es ist besser, wenn ihr geht, und Zsófi schimpfte, was gibst du plötzlich auf das Gerede.
Als wir zu Bett gehen wollten, hörten wir einen Wagen vor der Einfahrt, dann ein Hupen. Es ist Karcsi, sagte Zsófi, als sie zum Fenster
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