Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schwimmer: Roman (German Edition)

Der Schwimmer: Roman (German Edition)

Titel: Der Schwimmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zsuzsa Bánk
Vom Netzwerk:
dann nach Westen über Szolnok. Wir glitten langsam durch leere Landschaften, vorbei an den Häusern der Bahnwärter, an herabgelassenen Schranken, an wartenden Radfahrern, und brachen Stücke aus dem Brot, das man meinem Vater zugesteckt hatte. Mein Vater sprach kaum mit uns, er sah aus dem Fenster, hatte die roten Gardinen zur Seite gezogen und nicht mehr losgelassen, als müsse er sich an etwas festhalten. Er trug seinen blauen Arbeitsanzug, den er nicht an die Schokoladenfabrik zurückgegeben hatte, und dicke schwarze Schuhe mit einem Einsatz aus Stahl über den Zehen. Sein Haar hatte er in den vergangenen Monaten nicht mehr von Zsófi schneiden lassen, jetzt reichte es fast bis zu den Schultern. Als die Sonne ins Abteil schien, entdeckte ich zum ersten Mal graue Fäden darin.

    Als wir die Theiß bei Szolnok überquerten, setzten sich junge Soldaten in unser Abteil. Sie hatten wie Jenő Krater im Gesicht, rauchten filterlose Zigaretten, deren Asche auf ihre Stiefel fiel, und waren so unruhig mit ihren Beinen, daß der Boden unter uns zitterte. Sie verbreiteten diesen Geruch von Rasierwasser, grober Seife und feuchten Handtüchern, die in irgendeinem kalten Zimmer nicht mehr trockneten. Wenn ich mich zurücklehnte, konnte ich ihre rasierten Nacken sehen und ihre Haut, die sich zusammenzog, sobald ein Hauch kalter Luft durch die geöffneten Fenster ins Abteil blies.

    Die Soldaten sprachen lange mit meinem Vater, während Isti und ich durch den Zug liefen, die wenigen vorbeiziehenden Dörfer zählten, von Waggon zu Waggon sprangen und dabei hinabschauten auf die Schwellen und den Schotter unter unseren Füßen. Wenn Isti mit seiner Jacke an einem Türgriff hängenblieb und fiel oder über eine Stufe stolperte, half ich ihm wieder auf. Wozu kennen wir alle Abfahrtszeiten, wenn wir doch nie nach Pest fahren?, fragte Isti, und ich überhörte es. Als es dämmerte, nahm einer der Soldaten ein Foto aus seiner Brieftasche. Ein Mädchen war darauf zu sehen, mit breitem Haarreif, das einen Hund in den Armen hielt. Ihr Mädchen?, fragte mein Vater freundlich. Ja, mein Mädchen, antwortete der Fremde.

    Als mein Vater Soldat gewesen war, hatte er Kristallzucker in den Tank eines Wagens geschüttet, mit dem seine Einheit Miskolc verlassen sollte. Er hatte eine Verabredung, er wollte nicht wegfahren, nicht an diesem Abend. Der Zucker hatte den Motor zerstört, und mein Vater war erwischt worden. Sein Hauptmann hatte ihn zu sich bringen lassen, hatte die anderen weggeschickt, er und mein Vater hatten zu beiden Seiten eines Schreibtischs gesessen, auf dem eine Zigarette in einem Aschenbecher aus Blech qualmte. Ob er auch rauchen dürfe, hatte mein Vater gefragt. Nein, er dürfe nicht, hatte der Hauptmann geantwortet und gefragt, ob er, Velencei Kálmán, wisse, was er da begangen habe. Ja, hatte mein Vater gesagt, er wisse es. Dann wissen Sie auch, was darauf steht, hatte der Hauptmann ergänzt. Ja, mein Vater wußte es, und er erzählte es uns und allen anderen Jahre später immer wieder: Kopfschuß stand darauf. Letzte Grüße nach Hause, verabschieden, dann beten, aufstellen. Für die anderen hieß es Gewehr laden, schießen, Kette vom Hals lösen und in die Heimat schicken. Begräbnislos sterben, ehrlos - das stand darauf. Mein Vater sagte nichts. Er flehte nicht, er log nicht. Und sein Hauptmann ließ ihn gehen.

    Es war schon dunkel, als unser Zug in Siófok einfuhr. Am Himmel zeigten sich ein paar Sterne. Isti rief, der Große Wagen!, die Soldaten griffen nach unseren Koffern, stellten sie vor das Abteil und legten ihre Hände zum Abschied an den Schirm ihrer Mützen. Das Schiff würden wir am nächsten Tag nehmen, sagte mein Vater, während er uns durch den schmalen Gang hinausschob und Isti immer wieder mit seiner Jacke hängenblieb, das Schiff zur anderen Seite des Sees, dann vielleicht den Bus, von der Anlegestelle sei es nicht mehr weit. In der Bahnhofshalle hatten Frauen und Männer auf den Zug gewartet. Jetzt begrüßten und umarmten sie die Angereisten. Sie sahen nicht aus wie wir. Sie sahen wie niemand aus, den wir kannten. Mein Vater fragte, wo wir übernachten könnten. Nur wenige Straßen weiter, auf der anderen Seite der Gleise, gebe es jemanden, der Zimmer vermiete, sagte man uns, im Garten stehe ein Schwan aus Kunststoff, der seinen Kopf gesenkt halte. Könnt ihr das Wasser riechen?, fragte uns mein Vater, als wir den Bahnhof verließen, und Isti sagte: ja. Vielleicht roch er es wirklich. Wenn ihr still

Weitere Kostenlose Bücher