Der Schwimmer: Roman (German Edition)
hinausblickte. Isti und ich stellten uns hinter sie. Im Scheinwerferlicht sahen die Schneeflocken aus wie Fäden, die jemand nach unten zog. Karcsi stieg aus und knallte die Wagentür zu. Er trug einen Ölmantel, dessen Kapuze er über den Kopf gezogen hatte. Einen Augenblick lang stand er im fallenden Schnee vor dem Gartentor, dann wartete er vor der Haustür darauf, daß man ihn hereinließ. Ich konnte seinen Schatten vor dem Glas sehen. Willst du ihm nicht öffnen?, fragte Pista meinen Vater. Warum ich?, entgegnete mein Vater und rührte sich nicht.
Zsófi stellte für Karcsi Schokolade auf den Tisch und schob Isti und mich ins Zimmer nebenan. Wir saßen auf den Stühlen und schauten uns mit weit aufgerissenen Augen an. Karcsi schrie irgend etwas mit: wie Brüder!, er schluchzte, er wimmerte, er brüllte. Hin- und hergerissen sei er, aber was könne er tun? Er umarmte meinen Vater, er verfluchte ihn. Hin und wieder fiel Évas Name. Hin und wieder hörte ich die ruhige Stimme meines Vaters, der kaum etwas sagte. Karcsi packte ihn am Hemdkragen, Pista ging dazwischen und fuhr Karcsi an, wenn du ihn schlagen willst, schlag ihn draußen im Hof.
Bevor Karcsi ging, gab er mir ein Päckchen, das mein Vater aus meinen Händen riß und draußen vor Karcsis Augen in den Graben warf. Dort lag es auf den Resten dieser braunen Schicht, die wir am Morgen weggekratzt hatten, und wurde durchweicht vom fallenden Schnee. Nachts holte Isti das Päckchen für mich zurück, ich versteckte es und öffnete es erst Tage später. Ein Armband mit einem Christophorus-Anhänger war darin. Auf seinen Schultern trug Christophorus ein Kind und watete durch einen Fluß. Ich wäre gerne zu Éva und Karcsi gegangen, um mich zu bedanken, aber ich wußte, auch mich würden sie nicht mehr sehen wollen.
Am Tag darauf sagte Pista, hier ist nur noch Platz für einen von euch, und Zsófi verdrehte die Augen. Ich ahnte, wir würden nicht mehr lange bleiben. Bald würde mein Vater die Koffer aufs Bett werfen und mich auffordern, unsere Sachen zu packen. Wir würden den Bus nehmen, wir würden in den Zug steigen und in irgendeine Richtung fahren. Éva würde uns dieses Mal nicht mitnehmen. Das Merkwürdige war, ich hatte mich an die anderen und unser Leben hier gewöhnt. An Jenős Gesicht mit den schwarzen Kratern, an die Melodien, die er auf dem Klavier spielte, an Pistas dunklen Blick, an Zsófis Gespräche mit sich selbst. An meine Lesestunden, an die Spaziergänge mit Isti, an den Fluß in unserer Nähe, selbst an das Bellen des Hundes. Es machte mir nichts mehr. Wenn wir nicht nach Vat zurückkehren konnten, wollte ich mich gar nicht mehr bewegen. Ich wollte nicht in andere Häuser, auf fremde Höfe, mit Gesichtern, die mir zuerst nichts bedeuteten und dann zuviel. Mein Vater sagte, er lasse sich nicht wegschicken, nicht von einem Karcsi. Aber den Sommer, den werde er anderswo verbringen, irgendwo am Wasser. Es sei Zeit für uns, das Schwimmen zu lernen.
Als der Frühling kam und die Tage länger wurden, atmeten wir auf, und wir vergaßen, was mein Vater gesagt hatte. Wir stellten die Stiefel in den Schrank, legten die Mützen weg und trennten das Futter aus den Mänteln. Ich sprang mit Isti über die Felder, als sich an den Bäumen das erste Grün zeigte. Das Braune war aus der Landschaft fast verschwunden, als hätte man es zur Seite geschoben, weg aus unserem Blickfeld, als habe es jemand weggegeben zum Aufbewahren. Als die Sonne uns zum ersten Mal wärmte, öffneten wir Türen und Fenster, und die Gardinen flatterten in den Hof und auf die Straße. Zsófi gab uns ihre Tochter Anikó an die Hand, und wir tollten über die nahen Wiesen, liefen hinunter zum Fluß, zogen Anikó in einem Karren hinter uns her, begrüßten die Gänse, die Schwäne, von denen Isti sagte, er kenne sie noch vom letzten Jahr. Wir zählten die Störche, die auf den Dächern und die auf den Schornsteinen. Isti gab ihnen Namen, und Anikó wiederholte sie. Auf einem unserer Wege entdeckten wir einen Unterschlupf, ein paar Bretter nur, die jemand wie ein kleines Dach über zwei Äste gelegt hatte. Manchmal saßen wir darunter, hörten auf den fallenden Regen und kümmerten uns nicht darum, wenn unsere Kleider naß wurden. Tagsüber schlugen wir uns die Knie wund, am Abend zog Zsófi Splitter aus unseren nackten Füßen, und nachts fiel aus unseren Haaren Gras und Schmutz auf die Kissen.
Wir verabschiedeten uns erst, als mein Vater eines Nachts mit blutiger Nase
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