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Der Schwimmer: Roman (German Edition)

Der Schwimmer: Roman (German Edition)

Titel: Der Schwimmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zsuzsa Bánk
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vergangenen Jahr, hatte Virág einen Brief von Zsófi aus dem Postkasten geholt, den sie schon auf dem Kieselweg geöffnet hatte und den ich allen laut vorlas, wie ich es immer tat, laut und langsam, so, wie Jenő es mir beigebracht hatte.

    Pista versucht, das Rauchen aufzugeben, und ißt jeden Tag Schokolade, die sie uns immer noch aus der Fabrik bringen, obwohl Kálmán ja längst nicht mehr dort arbeitet, schrieb Zsófi in kleinen Buchstaben mit Bleistift auf kariertes Papier. Jenő hat Arbeit als Klavierlehrer, zweimal die Woche fährt er mit dem Fahrrad nach Szerencs, sie zahlen ihm wenig, aber wir sind zufrieden. Anikó fragt jeden Tag nach Euch, sie glaubt, Ihr kommt zurück - kommt Ihr zurück?, und weiter unten, im letzten Absatz, als sei es ihr noch eingefallen, gerade noch, bevor sie den Brief beendete, schrieb sie, Éva hat am Sonntag einen Sohn geboren, dreihundertsechzig Deka, 51 Zenti, und ein bißchen sieht er aus wie Isti.

Tamás.
    Virág wartete bei Grúztee, in den sie Zucker mit einer Farbe wie Dreck rührte und von dem sie so viel trank, daß Ági Angst hatte, sie würde krank werden davon. Sie saß am Ofen, den mein Vater morgens mit Holz füllte, hatte ihre Hände um die Tasse gelegt und wartete auf eine Karte oder einen Brief aus Budapest oder auf jemanden, der trotz des Wetters vom Haus am See hochkam zu uns, um Grüße zu bestellen und Nachrichten zu bringen, die nie Neuigkeiten waren. Isti sagte, Virág sehe aus wie ein Jagdhund, der seinen Kopf hebt und aufhorcht, jedesmal, sobald er draußen etwas hört, Schritte oder Stimmen, und wenn er Virág fragte, warum sie nur sitze und sonst nichts tue, gar nichts mehr, sagte sie, ich warte. An dunklen Nachmittagen zündete sie Kerzen an, die sie ins Fenster stellte. Sie rußten und tropften, wenn wir an ihnen vorbeiliefen, und Ági schimpfte, willst du uns das Haus anzünden?

    Nur noch selten gab es dieses Licht wie Schwefel, gelb und rosa, dazu einen Himmel in Streifen, der uns täuschte, weil er vorgab, es sei noch warm und man könne noch zum See laufen, ohne dabei zu frieren. Wenn er ganz nah schien, dieser Himmel, zum Greifen nah, als würde er gleich hier, wenige Schritte vor uns, im Garten beginnen und sich von hier ausbreiten und hochziehen, schlüpften wir hinaus auf die Veranda und zählten Krähen, die in die nackten Bäume flogen, und wenn Isti schrie: vier!, rief Virág schnell: acht!, und ich sagte: fünfzehn!, und dann lachten wir so laut, daß Zoltán aus seinem Zimmer kam und selbst anfing zu lachen, ohne zu wissen, über was.

    Wir kochten Russischen Tee, wir kochten Grúztee, dunklen, starken, süßen Tee, mehrere Male am Tag, mal für Onkel Zoltán, mal für meinen Vater, mal für uns selbst. Isti setzte Wasser auf, ich streute Tee in den Topf, Isti verteilte Tassen, ich schenkte ein, mit einer kleinen Kelle, reichte den Zucker dazu, und dann saßen wir und verbrannten uns die Lippen an heißem Tee, und weil Virág das Reden fast aufgegeben hatte, hörten wir auf das Brodeln des Wassers im Topf und auf unser Pusten mit gespitzten Lippen. Die Briefe und Karten, die für Virág kamen, las sie unterm Dach, obwohl es dort zum Sitzen viel zu kalt war, und sie kam erst zurück, wenn Ági rief, du wirst dich noch umbringen in dieser Kälte, komm herunter.

    Ági, Isti und ich, wir spielten Wortspiele, wenn der Regen an die Scheiben klopfte und den Garten, vielmehr das, was von ihm jetzt noch übrig war, aufweichte. Gib mir einen Wasserkessel, und trenne ein Wort, gab Ági vor, und Isti sagte laut: Kessel, reime auf Kessel. Ich reimte: Sessel, Nessel, Fessel, und forderte, nimm ein anderes Wort daraus, und Ági antwortete: Esel. Lese. Fels. Wir verbrachten Stunden damit, Tage. Wir saßen am Tisch, neben Virág und Onkel Zoltán, die stumm blieben, spalteten Worte, bis es aufhörte zu regnen und der See die Luft gegen Nachmittag blau färbte, und ein bißchen war es, als säßen wir in einem Aquarium, in einem, wie Isti es sich einmal gewünscht hatte. Wenn Isti Kerzen anzünden durfte, weil die Tage noch kürzer und dunkler geworden waren, fragte er uns, warum sie kleiner werden, diese Kerzen, wohin sie brennen, und weil Mihály und Tamás nicht da waren, konnte es ihm niemand sagen.

    An einem dieser Abende hatte sich Virág achtlos, gedankenverloren auf einen Spiegel gesetzt, an den Ági ein Bändchen hatte knoten wollen, um ihn aufzuhängen. Ági hatte nicht geschimpft, als der Spiegel in Stücke zersprungen war. Sie hatte

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