Der Schwimmer: Roman (German Edition)
gesagt, es sei ein gutes Zeichen, der zerschnittene Stoff, der Spiegel, die Splitter, und niemand hatte gefragt, ein gutes Zeichen für was. Dann hatte sie den Spiegel geklebt, und wir konnten seine Risse sehen, jetzt, da Ági ihn neben die Tür gehängt hatte - wie feine dunkle Adern sahen sie aus.
Seit Virág kaum mehr aß und kaum mehr redete, seit sie ihre Hosen mit Blumen bestickte, an jedem Abend mit einer Blume, bis zum Frühling, wie sie sagte, seit sie den Tisch verließ, noch bevor der Kaffee gebracht wurde, die Terrassentür hinter sich schloß, um mit ihrer Csepel in der Dunkelheit zu verschwinden und den See zu umkreisen, der im Winter flach war und aussah wie zugefroren, seitdem hatte Ági aufgehört, über Mihály und Tamás schlecht zu reden. Sie sagte nicht mehr, sie essen wie Hunde aus einem Napf, weil sie ihr Gesicht nicht zeigten, während sie aßen. Sie nannte die beiden auch nicht länger Walrösser, sondern Bullen, und aus ihrem Mund klang es so, als sei das schon eine Auszeichnung, als sei das schon ein Kompliment. Wenn sie wußte, die Brüder reisten zum Wochenende an, begann sie Tage vorher, Suppen zu kochen, Teig zu kneten und Weckgläser aus der Speis zu holen, die sie gegen das Licht hielt und drehte und wendete. Und wenn Tamás und Mihály dann am Samstagmorgen den Hügel hochkamen, Isti einen Stuhl vor die Dachluke stellte, um sie schon von weitem sehen zu können, und durchs Haus rief, Sie sind da! Sie kommen!, dann war Ági die erste, die ihnen über die Kiesel entgegenlief. Für mich gehörten Tamás und Mihály zum Sommer, wie der See zum Sommer gehörte, und ich fand, es paßte nicht, sie in dieser Kälte zu sehen, bei nassem Wetter, mit Stiefeln, dicken Jacken und Mützen, die sie über ihr Haar zogen, das jetzt kein Rot mehr zeigte, weil die Sonne wegblieb.
Tamás und Mihály verbrachten ihre freien Tage nicht immer zusammen am See, oft kam nur einer von ihnen. Wenn Tamás uns besuchte, freute sich Virág über Tamás, wenigstens sagte sie das. Wenn Mihály kam, sagte sie nichts. War Tamás allein bei uns, fragte Virág nach seinem Bruder und warum er nicht habe kommen können, in einem Ton, der nach nicht mehr als Höflichkeit klingen sollte, und mit einem Blick, der wie beiläufig an etwas hängengeblieben war. Wenn Mihály allein kam, fragte sie nie nach Tamás. Trotzdem stahl sie sich an einem Abend nach dem Essen ausgerechnet mit ihm aus dem Haus, vielleicht nur, um Mihály etwas zu zeigen, was er bislang nicht hatte sehen wollen. Virág und Tamás schien es gleich zu sein, was die anderen sagen würden, wenn sie kurz hintereinander die Tafel verließen, und ich folgte ihnen unter einem Vorwand, als man sich am Tisch lange tonlos anschaute und Mihály so in sein Kaffeeglas starrte, als müßte er darin etwas suchen.
Tamás und Virág liefen hinunter zum See, Tamás mit großen Schritten, Virág mit ihren tänzelnden kleinen, und ich blieb weit genug hinter ihnen, damit sie mich nicht bemerkten. Virág sah ein bißchen verletzt aus, angegriffen, sie sah nach weniger aus als sonst, aber nicht bloß, weil sie neben Tamás so aussehen mußte, etwas an ihr schien zu fehlen. Sie liefen vorbei an den wenigen Häusern, den Bäumen, vorbei am Schilf, das seine helle Farbe verloren hatte, und weiter zum Sandstrand, der um diese Jahreszeit dunkel und hart ist. Seit Monaten war es zu kalt zum Baden und zu kalt für einen Wasserspaziergang, wie Tamás es nannte, wenn er die Hosenbeine hochschlug, um in Ufernähe barfuß durchs flache Wasser zu laufen. Trotzdem zog er Schuhe und Strümpfe aus, ging in den See hinein, nur ein paar Schritte, und drehte sich um, als wollte er fragen, was ist - wo bleibst du? Ich wußte, Virág würde ihm durch das eisige Wasser folgen, nur jetzt würde sie noch ein wenig warten. Sie hob flache Steine auf und warf sie so auf die Wellen, daß sie dreimal, viermal hochsprangen, bevor sie verschwanden. Es schien das einzige Geräusch zu sein, dieses Springen der Steine. Vielleicht bewegten sich irgendwo in unserer Nähe die Blätter eines Baumes, vielleicht blies irgendwo ein Wind, vielleicht schwamm da unten, irgendwo da unten ein Fisch.
Virág zog ihre Schuhe aus und malte mit nackten Füßen Kreise in den Sand. Obwohl ich hinter dem Schilf stand, konnte ich ihren kurzen Atem hören, als sie ihre Hosen mit beiden Händen hochraffte, um zu Tamás durchs Wasser zu waten, das vom Regen noch aufgewühlt war. Sie ging erst langsam, dann etwas schneller und
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