Der Schwimmer: Roman (German Edition)
blieb so dicht vor Tamás stehen, daß er die hellen Flecken in ihren Augen sehen mußte, die das Blaue in Stücke teilten. Tamás breitete seine Arme aus, streckte sie weg von sich, weg von Virág, die Hände zu Fäusten geballt. Virágs Brust hob und senkte sich, unruhiger als sonst, Virág stellte sich auf die Zehenspitzen, streckte ihren Kopf vor, und Tamás öffnete seine Hände und ließ ein paar Steine ins Wasser fallen. Für einen Augenblick sah es aus, als würden die beiden im See versinken.
Als Virág zurückkehrte, klebte Sand an ihren nassen Hosenbeinen, an den Ärmeln ihrer Jacke, und Wasser tropfte aus ihrem Haar auf den Boden, neben ihre Füße, die aussahen, wie in Paniermehl gewendet. Ági holte Decken und Handtücher, mein Vater legte Holz nach, und Zoltán goß Schnaps in Gläser, die Isti aus der Vitrine genommen hatte. Als sich Virág wieder an den Tisch setzte, taten alle so, als habe sie ihn nie verlassen. Mihály war längst gegangen.
Die Brüder kamen nicht, um sich zu verabschieden, nicht an diesem Wochenende. Sonst schauten sie vorbei, bevor sie die Fähre nach Siófok nahmen oder bevor sie losliefen, über die Landstraße, mit ihrem Gepäck, das sie auf den Rücken schnallten. Ági steckte ihnen immer etwas zu, Wein, Kuchen, in kleinen Kartons, und dann standen sie auf der Veranda, mit ihren Päckchen, bei jedem Wetter, und redeten so, wie man redet, wenn keine Zeit mehr bleibt, wenn man weiß, gleich ist es vorbei, gleich ist es zu Ende. Erst wenn Ági sagte, geht jetzt, ihr dürft den Zug nicht verpassen, Budapest wartet nicht, wenn sie ihre Handflächen zeigte, als wolle sie die beiden wegschieben, die Stufen hinunter, erst dann rannten sie los, über den Kieselweg, den Hügel hinab, mit dem hüpfenden Gepäck auf ihren Rücken, Mihály immer wenige Schritte vor Tamás. Und wir, Virág, Isti und ich, wir eilten zur Gartenpforte, um ihnen nachzusehen, und ich weiß, Virág schaute nur auf Mihály, nie auf Tamás, und sie blieb auch dann noch stehen, wenn die Brüder längst schon hinter den Baumreihen unten am See verschwunden waren, schaute in die Luft, ins Leere, ins Nichts, und Isti und ich, wir fragten uns jedesmal, was es war, das sie dort sehen konnte. Jetzt aber, an diesem Sonntag, machten sich Tamás und Mihály nicht die Mühe, uns zu besuchen, bevor sie abfuhren, und Ágis Pappkartons blieben neben der Tür zur Speis auf einem Stuhl liegen, bis Isti ihre Schnur löste und anfing, den Kuchen selbst zu essen.
Karten und Briefe mit einem M für Mihály auf den vorgezeichneten Linien für den Absender kamen jetzt nicht mehr, und daß es so bleiben würde, hatten wir schnell begriffen, schon nach den ersten Tagen, in denen der Postbote nur noch Umschläge ohne M brachte. Wenn ein T mit einem Punkt auf dem Absender stand, faßte Virág den Brief nicht an. Er blieb ungeöffnet auf der Fensterbank liegen, neben vergilbtem Zeitungspapier und den Kästchen aus Blech, in denen Virág Nadel und Faden aufbewahrte, und Ági fragte, warum verbrennst du diesen Brief nicht gleich, was muß er im Fenster liegen?
Virág hatte keine Lust mehr, mit Isti und mir hinunter zum Haus am See zu gehen und dort herumzustreichen, wie Katzen, die nach Abfällen suchen. Nur wenn Isti ihr keine Ruhe ließ und sie an ihrem Kleid zog, bis zur Gartenpforte und weiter, kam sie, wenn auch widerwillig, mit uns. Unten am See blieb sie in der Nähe des Schilfes stehen, hinter dem ich mich versteckt hatte, als sie zu Tamás durchs Wasser gelaufen war. Sie ging nicht weiter, als sei dort ein Seil gespannt, als gebe es eine Absperrung, und erst wenn Isti sagte, Virág ist zu einer Säule erstarrt, Gott hat sie gestraft, weil sich jeder nach ihr umdreht, fing Virág an zu lachen und lief weiter.
Schnee fiel am See so gut wie nie. Schnee war etwas, das zu anderen Gegenden gehörte. Vielleicht hatten Orte wie Szerencs ein Recht auf Schnee, vielleicht hatte das sogar Vat. Vielleicht gehörte der Schnee so zu ihnen, wie etwas unbedingt zu einem Ort gehören muß, wie etwas nur zu einem Ort gehören kann - und zu keinem anderen. Nur Zoltán erzählte, früher sei in jedem Winter Schnee gefallen und habe den See bedeckt, dort, wo er vereist gewesen sei, und aus der Ferne habe man kaum sehen können, ob das Weiße der Schaum der Wellen oder Schnee gewesen sei. Am Ufer seien sie spazierengegangen, in hohen Stiefeln durch den Sand, durch das Wetter, und hätten auf die verschneiten Weinstöcke geschaut, auf die wenigen
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