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Der Schwimmer: Roman (German Edition)

Der Schwimmer: Roman (German Edition)

Titel: Der Schwimmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zsuzsa Bánk
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verstehen würde. Aber sie hatten darauf bestanden, auch darauf, vor der Vorstellung an einer Bude Würstchen zu essen, und Großmutter hatte nachgegeben, war mit der Tram gefahren, hatte vor dem Kino an einer Bude Würstchen mit Senf gegessen, so wie es Vali und meine Mutter gewünscht hatten, und plötzlich, nach dem zweiten Bissen, hatte sie angefangen zu weinen, ausgerechnet dort, an dieser Bude, mitten in der Stadt, ausgerechnet in diesem Augenblick hatte sie zum ersten Mal geweint, Wochen nachdem sie ihre Tochter wiedergesehen hatte. Meine Mutter und Vali hatten mit ihr geweint, eine ganze Weile, und der Würstchenverkäufer hatte zu ihnen geschaut und Papierservietten auf die Theke gelegt, damit sie sich hatten schneuzen können.

    Vielleicht hatte Großmutter jetzt geweint, an dieser Würstchenbude im Westen, weil sie es sich damals, im Winter 1956, verboten hatte, als sie die ersten Meldungen im Radio gehört und nicht gewußt hatte, wie sie diesen Winter überstehen sollte, mit diesen Gedanken, die ihr gekommen waren, und mit dieser Angst, nachdem jemand aus Vat zu ihr gesagt hatte, Rózsa, deine Kata, sie ist im Westen, sie ist nach Amerika, auf einem Schiff, jemand hat es im Radio gehört. Es hatte sie Kraft gekostet, mehr als sie hatte, sich nicht zu ängstigen, weiter in die Kirche zu gehen und nicht an dem zu zweifeln, was dort gesagt wurde. Selbst das ängstigte sie, weil sie noch nie an dem gezweifelt hatte, was dort gesagt wurde, weil sie noch nie an irgend etwas gezweifelt hatte, weil sie die Dinge immer so genommen hatte, wie sie waren, weil es ihr nie eingefallen wäre, etwas zu hinterfragen, auch früher nicht, damals, als sie das Dienstmädchen eines Bankiers in der nächsten Stadt gewesen war, wo sie die Stelle erst angetreten hatte, als man ihr versichert hatte, sie dürfe an jedem Sonntagmorgen zur Kirche.

    Mit fünfzehn hatte sie angefangen, im Haus des Bankiers Federbetten zu schütteln, Silber zu polieren, Suppe zu kochen, Steinböden zu wischen und dem Hausherrn jeden Morgen an der Tür die Mappe zu reichen, wenn es regnete, den Schirm dazu. Ein kleines, sauberes Zimmer hatte man ihr überlassen, neben der Küche, mit weißer Wäsche, einem roten Sessel, allein für sie, und einem Fenster zur Straße, durch das sie sehen konnte, wenn sie sich auf die Fußspitzen stellte. Die Frau des Bankiers nannte Großmutter nicht bloß Rózsa, sondern Fräulein Rózsa, und wenn der Bankier auf Reisen war, tranken sie und Großmutter aus derselben Kanne Tee, obwohl sich Großmutter zunächst geweigert hatte.

    An ihrem ersten freien Sonntag hatte sie gesagt, sie wolle nicht den Zug nehmen, um ihre Eltern zu besuchen, sie wolle auch nicht durch die Stadt spazieren mit den anderen Mädchen, die auf den Straßen und Plätzen ihre neuen Mäntel zeigten. Lieber wolle sie nach dem Gottesdienst in ihrem Zimmer bleiben, in ihrem roten Sessel, auf ihrem Bett, ihrer weißen Wäsche, und nichts anderes tun als die Kissen glattstreichen und auf die Stimmen im Haus und im Garten hören. Wen meine Großmutter nicht mochte, nannte sie Pharisäer, und ich glaube, diese Mädchen, die sonntags ihre Mäntel zeigten, die nannte sie so.

    Als sie zum Haus des Bankiers gebracht worden war, wo fünf Kinder vor der Tür gestanden hatten, um meine Großmutter zu begrüßen, die kaum älter war als die älteste Tochter, hatte sie so etwas empfunden wie Glück, obwohl meine Großmutter es nie Glück genannt hätte, bestimmt nicht. Die Frau des Bankiers hatte ihr ein Kästchen überreicht, an diesem Tag noch, auf ihrem Zimmer, mit zehn Nadeln auf grünem Samt. Und dann, als meine Großmutter anfing, die ersten Stoffe zu flikken, hatte sie sich nicht einmal in den Finger gestochen, nicht ein einziges Mal.

    Später ging Großmutter in die Handschuhfabrik, wo man sie nur noch Rózsa nannte, nicht mehr Fräulein Rózsa. Vielleicht ging sie in die Fabrik, weil alle Frauen dort als Näherinnen arbeiteten, oder fast alle. Wenn Großmutter zu Hause blieb, brachte morgens jemand fünf große Säcke auf einem Karren, den er mit seinem Fahrrad zog, stellte sie in die Küchentür und holte sie am späten Abend wieder ab. Meine Großmutter nähte Innenfutter für Handschuhe. Nach einer Vorlage aus Zeitungspapier schnitt sie Futter aus weißem Baumwollstoff, säumte es mit der Hand und nähte es an der Maschine zusammen. Damals reichten mir die Stapel weißen Stoffs bis zur Brust, manchmal bis zum Kinn. Ich hatte mich oft gefragt, was mit

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