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Der Schwimmer: Roman (German Edition)

Der Schwimmer: Roman (German Edition)

Titel: Der Schwimmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zsuzsa Bánk
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Isti und ich, wir standen auf, Ági fragte, wovon hat sie geträumt, in der Nacht, bevor sie den Zug nahm?, und Großmutter erwiderte, von einem Päckchen, das sie auf dem Rücken trug, und sie sagte es leise, damit wir, Isti und ich, es nicht hörten - aber wir hörten es.

    Uns war, als müßten wir ins Freie, als müßten wir atmen, um etwas nachzuholen, aufzuholen, als könnten wir hier, hinter verschlossenen Türen nicht atmen, als hätte das, was gesagt worden war, die Luft verdrängt, uns alles genommen, was wir hätten atmen können. Draußen, wo unser Blick auf den See fiel, der nur noch aussah wie Wasser, Wasser zwischen Hängen und Hügeln, wie nichts anderes mehr, glänzten über unseren Köpfen Spinnweben, die der Herbst uns gelassen hatte, und ein Rest Regen fiel von den Fäden auf unsere Gesichter, auf unser Haar. Virág fragte, wann seid ihr das letzte Mal Schlittschuh gelaufen?, und ich sagte, ich weiß es nicht, ich kann mich nicht erinnern, und dann legte Virág ihre Hand über die Stirn und schaute lange auf den See. Der Wind fuhr in ihre Kleider, zerrte an ihrem Rock, und Virág sah jetzt aus wie eine dieser Frauen aus Stein, die wir hin und wieder auf Plätzen sahen.

    Abends, als wir zum See hinunterliefen, fragte Isti, warum Scheinwerfer?, und Virág antwortete, so habe man ihnen den Weg geleuchtet. Vielleicht sagte sie das, um Isti zu beruhigen, wenn das noch ging, und Isti und ich, wir spielten mit, obwohl wir es besser wußten, beide, ich bin mir sicher. Wir fragten uns, wo der Osten aufhörte, wo unsere Mutter aus dem Zug gestiegen war und warum sie nicht den nächsten Zug zurück genommen hatte. Wir fragten uns, warum unsere Mutter ausgerechnet mit Vali gegangen war, mit Vali, die als einzige Frau in Vat geraucht hatte, Vali, die nicht in einer Fabrik, sondern für die Stadt Pápa in einem Büro gearbeitet hatte, Vali, die keinen Mann, keine Kinder hatte, nur einen alten Vater, der sonntags in der Kirche neben meiner Großmutter saß und lauter sang als alle anderen, der im
    Sommer barfuß ging, im Winter einen Mantel trug, der bis zum Boden reichte und mit dem er im Dorf seine Spuren hinterließ, wie mit einem Besen. Warum mit Vali?, fragten wir uns an diesem Abend und in den Nächten darauf, wenn wir in unseren Betten lagen. Wir fragten einander laut, und wir fragten uns leise, jeder für sich. Wenn ich mich zu Isti drehte, konnte ich sehen, wie er daran dachte, allein dadurch, wie er seine Lider bewegte. Uns gefiel, daß unsere Mutter genau so gelegen hatte wie wir jetzt, wenn auch neben Vali, Schulter an Schulter, zuerst in einem Bus, dann in einem Lager, dann in einem Zimmer über einer Spülküche, und wir trösteten uns mit dem Gedanken an die Briefe, die sie uns geschrieben hatte, und wir glaubten, daß es so gewesen war. Wir zweifelten nicht einen Augenblick daran, daß auf einem Postamt immer noch Briefe für uns lagen, Briefe, die anfingen mit Liebe Kata, lieber Isti. Wir dachten an die Schneegeräusche, die wir kannten, wir setzten sie in unseren Kopf, weil wir wußten, wie es sich anhört, wenn ein Schlitten fährt, wenn Stimmen im Schnee leiser werden. Wir lagen auf den Betten und hörten auf den fallenden Schnee in unserer Vorstellung, bis Isti aufstand, den Stuhl vorschob, aus der Dachluke sah und sagte, der Mond steht hinter den Hügeln, auf der anderen Seite und zeigt sich nicht, er ist zu feige, sich zu zeigen, warum ist er so feige. Vor dem Einschlafen sagte ich P zu Isti, und wir versuchten, darüber zu lachen, aber es gelang uns nicht.

    All diese Dinge waren vor Jahren geschehen, vielleicht vor fünf, sechs Jahren, obwohl wir erst jetzt von ihnen erfuhren. Wir hatten damals den Winter in Budapest verbracht, bei Manci, vor einem Stück Mauer, und irgendwo, in einer Stadt, in der es immerzu regnete, war ein Päckchen für Isti und mich in die Welt geschickt und dann an einem anderen Ort abgefangen worden. Einer der Züge, auf den Isti und ich damals gespuckt hatten, hätte irgendwann tief unter den Füßen meiner Mutter in den Bahnhof fahren, ein Glas hätte in ihren Händen anfangen können zu zittern. Wenn ich gewußt hätte, meine Mutter ist bei einer Inge, meine Mutter sitzt wie wir in einem Auto, in einem Zug oder unter einem Kreis aus Neon, meine Mutter hat ihr eigenes Lied gesungen, ganz allein, nur in ihrem Kopf, so wie ich bei Zsófi mein eigenes Gebet gesprochen hatte, es hätte nichts geändert.

    Isti und ich, wir waren im Rückstand, in einem Rückstand,

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