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Der Schwimmer: Roman (German Edition)

Der Schwimmer: Roman (German Edition)

Titel: Der Schwimmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zsuzsa Bánk
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den Handschuhen geschah, für die meine Großmutter das Innenfutter nähte. In Vat hatten wir nie jemanden mit Handschuhen gesehen. Frauen vom Dorf trugen im Sommer keine Handschuhe, auch nicht zum Gottesdienst, und seit sich in einem dieser Winter jemand zwei Höfe weiter auf dem Glatteis die Hüfte gebrochen hatte und niemand hatte helfen können, nicht einmal der Arzt, der nach Stunden übers Eis glitt, war kaum noch jemand auf die Straße gegangen, sobald es im November anfing zu frieren.

    Meine Großmutter hatte so lange Handschuhe genäht, bis sich ihre Finger nicht mehr bewegten, wie sie es wollte, und sie ihre Tasse am Morgen so hielt, daß der Tee über die Ränder floß. Aber erst als sie ihre Tasse mit heißem Tee hatte fallen lassen, das Porzellan auf den Steinen zersprungen war, als der Tee über die Scherben auf den Boden geronnen war, stellte meine Mutter die Säcke vor die Tür, und der Fahrer holte sie am Abend, so wie er sie am Morgen gebracht hatte. Meine Mutter hatte die Scherben zusammengekehrt, eine davon zwischen zwei Finger genommen, sie Großmutter vor die Augen gehalten und gesagt, nie wieder wolle sie hier einen Stapel Stoffe, nie wieder den Fahrer sehen und nie wieder das Summen der Nähmaschine in dieser Küche hören, nie wieder. Wenig später, im Winter 1956, hatte sich meine Mutter, Rózsas Tochter, in einen Zug gesetzt, als sei es ihr plötzlich gleich, ob eine Nähmaschine in der Küche summte oder nicht, und Großmutter hatte zum ersten Mal eine Angst gespürt, weil niemand mehr da war, der jetzt noch mit ihr schimpfen würde, auf diese Art, und auf einmal war es ihr schwergefallen, die Dinge so zu nehmen, wie sie waren.

    Gegen Ende des Monats, sagte Großmutter, wenn Vali und meine Mutter kein Geld mehr hatten, verbrachten sie ihren freien Tag damit, am großen Fenster ihrer Wohnung zu sitzen und auf den Regen zu schauen, wenn die Tage zu kalt waren und sie nicht heizen konnten, vom Bett aus, wo sie unter der Decke ihre kalten Knie aneinanderrieben. Sie sahen dabei zu, wie das Wasser gegen die neuen Scheiben schlug, und manchmal kamen Pál und Árpi vorbei, zogen zwei Kisten heran und setzten sich dazu. Weil sie nur einen Handspiegel hatten, drehten sich meine Mutter und Vali an den Wochenenden gegenseitig große Wickler ins Haar, ließen es unter einer Haube in heißer Luft trocknen, und manchmal färbten sie zwei, drei Strähnen, die sie in die Stirn kämmten, mit blauem Pulver, von dem sie heller wurden. Auch Großmutter hatten sie die Haare aufgedreht, Vali hatte dabei geraucht, ohne die Zigarette aus dem Mundwinkel zu nehmen, und Virág sagte später zu mir, auch sie wolle mit einer Zigarette im Mundwinkel Wickler in mein Haar drehen. Vali und meine Mutter hatten einen Schrank, der nahezu leer war, immer noch. In der Fabrik trugen sie Kittel und Hauben und am Wochenende immer dieselben dunklen Kleider und keine Kopftücher mehr. Suppen aßen sie, sagte Großmutter, die sie aus einer Tüte in einen Becher mit kochendem Wasser gaben. Warmes Wasser floß im Bad aus dem Hahn in eine kleine Wanne, in die sich auch meine Großmutter gesetzt und mit einem Stück schneeweißer Seife gewaschen hatte.

    Sie hörten Schlager, die jetzt im Radio gespielt wurden, etwas mit buona sera, was Guten Abend hieß, in einer Sprache, von der wir nichts wußten, und auf Istis Drängen sang meine Großmutter eine dieser Melodien, die sie in den Tagen darauf so oft wiederholen mußte, bis wir sie endlich selbst singen konnten. Virág, Isti und ich, wir sangen sie bis zum Ende des Winters, vielleicht auch darüber hinaus, und Isti, er sang sie anfangs ohne Pausen, aus Angst, er könne sie vergessen, so ernst, als gehe es dabei um etwas, und manchmal so laut, daß Ági die Fenster aufriß und in den Garten schrie, du machst uns noch verrückt mit dieser Melodie, hör auf damit. Virág, Isti und ich, wir summten sie, wenn wir aufwachten, wenn wir einschliefen, wenn wir zum See hinuntergingen, wenn wir am Ufer Steine warfen, wenn Isti kraulend auf einem Stuhl lag und Virág und ich ihm zuschauten dabei, am liebsten aber abends, wenn wir von der Anlegestelle kamen und den Hang hochliefen, mit Virág in unserer Mitte.

    Großmutter sagte, in den Sommern hatten Vali und meine Mutter ihre Sonntage in einer Eisdiele mit weniger als fünf Tischen verbracht, zu Fuß nur drei, vier Minuten von ihrer Wohnung entfernt. Erdbeereis hatten sie gegessen, aus blauen Gläsern, wenn sie Geld hatten, Sahne dazu, und

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