Der Schwimmer: Roman (German Edition)
Haar hochsteckte, saßen Vali und meine Mutter auf dem Bett und reichten ihr die Haarnadeln, und weil sie dabei so aussahen, als würden sie kleiner und kleiner, bestand Inge darauf, daß sie mit ihr gehen.
Inges Bruder holte sie mit seinem Wagen ab. Vali und meine Mutter liefen einmal um das Auto herum, noch einmal, und sagten, schönes Auto. Sie fuhren durch den Regen, über eine Landstraße, auf der kein anderer Wagen zu sehen war. Inge und ihr Bruder sprachen kaum miteinander, auch Vali und meine Mutter verstummten, weil sie glaubten, es gehöre sich so. Bloß das gleichmäßige Vor und Zurück der Scheibenwischer war zu hören, die sich so bewegt hatten, als wollten sie das Wasser eher auffangen als wegschieben. Inges Bruder fragte, ob ihre Freundinnen Musik hören wollten, Inge drehte sich nach hinten und fragte, wollt ihr?, Vali und meine Mutter nickten, und Inge suchte im Autoradio einen Sender.
Vor einem Mietshaus mit kleinen Fenstern und vielen Wohnungen übereinander hielten sie. Inges Eltern öffneten, Vater und Sohn gaben sich die Hand, und Vali und meine Mutter wunderten sich sehr darüber, daß sich Vater und Sohn zur Begrüßung bloß die Hand reichten. Sie mußten Platz nehmen, zuerst auf einem Sofa, neben den Großmüttern in weißen Blusen, mit Blick auf den Christbaum und Sterne aus Silberfolie. Inges Verlobter stand mit einem Geschenk in den Armen im Türrahmen, Inge stellte ihn vor, meine Mutter und Vali nickten und sagten Schönen guten Abend, wie sie es von Inge gelernt hatten. Er setzte sich neben sie aufs Sofa, Inge brachte ihm ein Glas, mit den Großmüttern schauten sie auf den Baum, und meine Mutter und Vali bereuten es fast ein bißchen, mitgegangen zu sein.
Am gedeckten Tisch zerlegte Inges Vater die Gans, Inges Verlobter und ihr Bruder aßen, tranken, redeten viel und laut, Inge hob die Hände, um beiden zu bedeuten: leiser, Inges Mutter flehte: wenigstens an Heiligabend, und meine Mutter und Vali verstanden so gut wie nichts von alldem. Auch die Lieder, die später gesungen wurden, kannten sie nicht, deshalb sang meine Mutter im Kopf, ganz ohne die anderen, ihr eigenes Lied, und vielleicht tat das auch Vali.
Außer Danke und Bitte konnten Vali und meine Mutter kaum etwas sagen, und Inges Bruder versuchte, nett zu sein, er versuchte, etwas zu sagen, das auch sie verstehen würden, und er sagte: Paprika-Puszta-Pálinka. Das waren die drei Worte, die er kannte, die ihm einfielen und von denen er glaubte, sie gehörten wie keine anderen Worte zu unserem Land, und meine Mutter und Vali lachten aus Höflichkeit, hoben ihr Glas, um anzustoßen, und selbst die Großmutter wiederholte lachend: Paprika-Puszta-Pálinka, und Inges Familie freute sich, etwas gefunden zu haben, was alle, was auch meine Mutter und Vali verstehen konnten, und Vali sagte zu meiner Mutter, dieser Bruder ist ein Idiot, und lächelte dabei weiter in die Runde. Später, sehr viel später, fingen Vali und meine Mutter an, es die drei großen Ps zu nennen. Sie mußten nur P sagen, und schon fingen sie an zu lachen.
Nach Mitternacht kehrten sie mit Inge zurück. Inges Bruder setzte sie vor der Gaststätte ab und stieg nicht aus seinem Wagen, um sich zu verabschieden. Er ließ den Motor laufen und fuhr wieder los, noch bevor Inge die Haustür öffnen konnte. Über die Treppen gingen sie hoch, saßen noch eine Weile in ihrem Zimmer, müde, still, unter dem Fenster, rund um den kleinen Tisch, an dem sie sonst Karten spielten, und Inge fragte, wie sie diesen Abend verbracht hätten, wenn sie nicht hier, sondern immer noch dort wären, von wo sie gekommen waren, und Vali und meine Mutter gaben vor, die Frage nicht zu verstehen. Inge zündete eine Kerze an, die sie von zu Hause mitgenommen hatte, und sie starrten lange auf die gelbe Flamme, die das einzige Licht in dieser Nacht in diesem Zimmer war. Inge fing an, von ihrem Verlobten zu sprechen, ganz langsam, trotzdem konnten meine Mutter und Vali sie kaum verstehen, und es strengte sie an, Inge zuzuhören. Vali ließ sich bald aufs Bett fallen, und bevor sie einschlief, in ihren Kleidern, sagte sie zu Inge: Danke schön. Viel Glück.
Den Jahreswechsel erwarteten meine Mutter und Vali mit einer Sehnsucht, die sie zuvor nicht gekannt hatten. Als könnte mit ihm wirklich eine neue Zeit beginnen, als sei genau dieser Tag das Ende von etwas und der Anfang von etwas anderem, in jedem Fall von etwas, das besser, das gut sein würde. Sie sprachen nicht davon, aber daß sie
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