Der Schwimmer: Roman (German Edition)
auf, Fragen zu stellen, ob und wann unsere Mutter zurückkommen würde, und die Geschichten, die Ági uns abends erzählte, ließ er nicht länger anfangen mit Meine Mutter war oder Meine Mutter hatte. Er fand auch keine Ausreden mehr dafür, daß unsere Mutter nicht hier, nicht bei uns war, Ausreden mit Thermalbädern oder kranken Füßen, wie wir sie uns einen ganzen Sommer lang ausgedacht hatten. Auf die Fragen, die ihm andere über unsere Mutter stellten, gab er keine Antworten mehr, er tat so, als habe man den Falschen angesprochen. Kata Ringlos war jemand, den Isti nicht kennen, von dem er nichts wissen wollte, jemand, den es nicht länger geben sollte. Kata Ringlos hörte auf zu sein, weil Isti es so wollte.
Isti war es jetzt gleichgültig, was geschah, mit uns, mit ihm, mit mir. Er nahm die Dinge, wie sie kamen, jedenfalls in diesen ersten Wochen, nachdem Großmutter sich verabschiedet hatte. Er stand mit mir auf, schlüpfte die Treppe hinunter, aß, was Ági ihm vorsetzte, rührte Zukker in den Tee, den Virág morgens in unsere Tassen goß, und bei allem sah er aus wie ein Gast, den man nicht geladen hat und mit dem man nicht zu reden weiß. Oft blieb Isti unter dem Dach, auf einem Stuhl neben unseren Betten, mit der Decke über den Schultern. Er saß, ohne etwas zu tun, ohne etwas zu sagen, mit gesenktem Kinn, den Blick auf den Boden geheftet, auf die Dielen aus Holz, als könne er darin etwas sehen, was anderen verborgen war, und er blieb so lange, bis Virág oder Ági ihn holten, vor sich die Stiegen hinunterschoben und im Zimmer vor den Ofen setzten.
Isti störte sich an nichts mehr. Es kümmerte ihn nicht, ob man ihn vergaß oder holte, ob man mit ihm sprach oder nicht. Selbst die Fische waren ihm gleich, die Virág ihm brachte, in einer Plastiktüte, weil sie glaubte, sie könnten ihn aufheitern. Isti nahm sie und trug sie hinunter zum See, wo er die Tüte umdrehte, die Fische in den See gleiten ließ und Virág die leere Tüte reichte, ohne Danke, ohne Bitte. Auch der Schnee war ihm gleich, der noch einmal fiel in diesem Winter und die Weinberge bedeckte, das Haus, in dem wir saßen, und uns, wenn wir hinaustraten auf die Terrasse und in den Garten. Ich mochte es, wenn es ruhiger wurde, wenn der Schnee die wenigen Geräusche dämmte, wenn er zu schlucken versuchte, was uns umgab: Ági, Zoltán, selbst meinen Vater. Die Welt wurde lautlos, wir konnten sie nur noch sehen, nicht mehr hören, und wir schauten sie an, wir schauten ihr zu, Virág, Isti und ich, wie sie sich drehte, vor dem Fenster, und wir fragten uns, ob wir etwas anderes hören könnten, wenn wir die Welt nicht mehr hörten.
Virág war es leid, hinter einem Postschalter Adressen in ein Heft zu schreiben, mit Orten, die sie nie würde sehen können, und sie fing an, unten am See in einer Bäkkerei zu arbeiten, in einem Laden ohne Schilder, ohne Schrift, mit einem Laib Brot und zwei Tüten Paniermehl im Fenster. Als sie am ersten Abend mit weißen Händen und Haaren über den Kieselweg gelaufen kam, fragte Ági, wieso muß meine Tochter in einer Bäckerei arbeiten?, und Isti sagte, sie muß eben, vielleicht, weil er bei anderen gehört hatte, daß sie so antworten. Virág verkaufte die eine Sorte Brot, die es gab, und Hörnchen, die man schon am späteren Vormittag nicht mehr kriegen konnte. Die Hörnchen nahm sie mit einer Zange aus einer hölzernen Kiste, die sie morgens auf die Theke stellte, und das Brot holte sie aus dem hinteren Zimmer, in dem Irén zwischen Mehlsäcken an einem Tisch saß. Irén sah die Hefte mit den Abrechnungen durch, die sie unter dem Licht einer Lampe aufschlug, leckte Briefumschläge an und trug mit einem Kugelschreiber Zahlen in Listen ein, die ich manchmal an den Nachmittagen mit einem Lineal in eines ihrer Hefte zeichnen durfte. Ich weiß nicht, aber ein bißchen sah Irén aus, als würde sie dort zur Strafe sitzen.
Irén war wie jemand, der auftaucht im Leben anderer, ohne bemerkt zu werden, und auch genauso verschwindet. Sie war nicht älter als Virág, ihr helles Haar trug sie kinnlang, in der Mitte gescheitelt, und ihre Augen versteckte sie hinter einer Brille mit dunklen Gläsern, die im hinteren Zimmer, zwischen dem Weiß der Brote und des Mehls, fast schwarz aussahen. Irén hatte hohe Hüften, wenigstens nannte Ági es so, wenn die Röcke unter dem Gürtel nach oben rutschten und Falten warfen, und nach jedem Satz, den Irén sagte, und sie sagte selten etwas, sog sie ihre Backe in die Lücke
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