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Der Schwimmer: Roman (German Edition)

Der Schwimmer: Roman (German Edition)

Titel: Der Schwimmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zsuzsa Bánk
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den wir nicht mehr aufholen würden. Was wir jetzt erfahren hatten, war längst vorbei, längst Vergangenheit. Wir wußten nie, was mit unserer Mutter geschah, jetzt zum Beispiel, wenn wir hier am Tisch saßen, oder später, im Sommer, wenn wir im See schwammen, wenn wir bei Mihály über den Rasen sprangen oder hinter dem Haus im Schatten saßen. Was uns blieb, war, an sie zu denken - und wir dachten an sie. Wenn Ági spülte, stellte ich mir vor, wie sie Töpfe in einer Gaststätte abgewaschen hatte, wenn Zoltán rauchte, sah ich Vali mit einer Zigarette im Mund, die meiner Mutter die Haare aufdrehte, und wenn Virág vor dem Fenster stand, dachte ich daran, wie meine Mutter jeden Morgen nach einem Stück Blau gesucht hatte, in einem Himmel, der im Winter und Frühjahr gleich aussah.

    Einen Namen behielt ich den ganzen Winter über auf meinen Lippen, jederzeit bereit, ihn für jedermann auszusprechen. Ich sagte ihn, wenn ich allein war, ich sagte ihn, wenn ich mit anderen war. Ich wiederholte ihn wie eine Formel, mit der ich glaubte, etwas beschwören zu können. Immer wieder sagte ich diesen Namen laut vor mich her, bei jedem Schritt, bei jedem Sprung. Ich rief ihn, ich flüsterte ihn, ich sang ihn, wenn ich abends allein zum See hinunterlief, ich legte meine Hände wie einen Trichter um meine Lippen und schrie ihn übers Wasser: Kata Ringlos.

    Nach Wochen verabschiedete sich Großmutter von uns, mit Tränen und Tüchern, die sie aus den Seiten ihrer Taschen holte, aus ihrem Gepäck, aus ihrem Mantel, schon am Vormittag, schon bevor wir zum See hinunterliefen, und Isti schien sie zum ersten Mal gehen zu lassen, als sei es ihm gleich, ob sie da war oder nicht, ob sie bleiben oder irgendwann zurückkommen würde. Er warf sich nicht auf den Boden, er schrie nicht, er weinte nicht, er hoffte auch nicht mehr, sie würde ihn mitnehmen, wohin auch immer. Vielleicht hatte er sich von etwas verabschiedet, das es ohnehin nur noch in den Tagen und Nächten gegeben hatte, nachdem wir alles gehört hatten, - etwas, von dem wir nicht genau wußten, was es war, aber es war etwas, das uns mit der Welt davor oder der ersten Zeit, wie wir sie später nannten, verbinden konnte, wenn auch bloß in Gedanken. Vielleicht hatte sich Isti sogar von allem verabschiedet, was er bislang gewesen war oder was wir bisher gewesen waren. Ich weiß nur nicht wie.

    Obwohl es viel zu kalt war, lag Isti auf seinem Bett, seit er am frühen Morgen aufgewacht war und die Decke zur Seite geschlagen hatte. Er weigerte sich, mit uns den ersten Tee zu trinken, und er sagte, er würde nicht mit uns zur Anlegestelle laufen, um dort Auf Wiedersehen zu sagen. Virág war in der Tür zum Dachboden stehengeblieben, auf der obersten Stufe der Stiegen, hatte es nicht gewagt weiterzugehen, hatte auf Isti eingeredet, vom Türrahmen aus, hatte erst versucht, ihn zu locken, mit Schokolade, die sie in ihren Händen gehalten und ihm entgegengestreckt hatte, hatte ihn dann gebeten, mit leiser Stimme, zu uns zu kommen, er solle es für sie tun, für sie, Virág, und hatte sich schließlich umgedreht, als wolle sie die Stufen hinabsteigen, zum Trotz, aus Enttäuschung, aus Ärger, und war doch stehengeblieben, um zu hören, ob Isti sich rührte - aber er rührte sich nicht.

    Während wir anderen aßen, mit einem leeren Stuhl am Tisch, und selbst Ági nicht wußte, was reden, machte Isti über unseren Köpfen plötzlich einen Krach, als springe er, als stampfe oder schlage er auf den Boden. Virág schaute zur Decke, und Zoltán fragte, wer stört uns, wer klopft da oben? Später kauerte Isti unter der Dachluke, durch die etwas Licht auf ihn fiel. Er hatte die Bettdecke um seine Schultern gelegt, die Knie angezogen, die Beine umfaßt, als müsse er sie festhalten, als versuche er, kleiner zu sein, um sich zu verstecken, vor uns, vor diesem Tag, vor allem. Er wartete darauf, daß Großmutter endlich gehen würde, und wir mit ihr, und mit ihr alles, was sie erzählt hatte. Vielleicht glaubte Isti noch, wir könnten es loswerden, wegwerfen wie ein Ding, verschenken wie etwas, das wir nicht brauchten und nicht wollten. Vielleicht dachte er, Großmutter könne es wieder mitnehmen, so wie sie es auch gebracht hatte, wie ihr Gepäck, ihren Koffer, wie die Kartons, die Ági am Abend mit Weinflaschen und Kuchen gefüllt und zugeschnürt hatte, und wir, Isti und ich, wir könnten so tun, als sei all das nicht gewesen und wenn doch, wenn es doch gewesen sein sollte, als gelte es nicht

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