Der Schwur der Königin
Schnitt deiner Robe nicht mehr ganz der Mode entspricht.«
»Sie wurde von meiner Mutter geschneidert. Ich bin stolz darauf, sie zu tragen.«
»Schön.« Er nickte energisch. »Stolz ist gut, wenn er nicht zu groß ist, hm?« Er drohte mir schelmisch mit dem Finger, an dem immer noch der Goldring prangte. »Wir wollen doch nicht, dass du deine Laufbahn mit dem falschen Fuß beginnst.« Er zwinkerte Beatriz zu. »Und dir gelingt es anscheinend vorzüglich, unsere Infanta zu schützen und ihr Feinde zu schaffen, kleine Bobadilla. Achte doch bitte etwas sorgfältiger darauf, wen du beleidigst, ja? Doña Mencia genießt die Gunst der Königin, und ich habe weder die Zeit noch die Neigung, bei Streitereien zwischen Frauen zu schlichten.«
»Natürlich«, stimmte ich ihm zu, bevor Beatriz protestieren konnte. »Es wird nie wieder vorkommen, Eure Eminenz.« Ich legte ihm die Hand auf den Arm. »Ich glaube, ich bin nun bereit.«
Lächelnd gestattete ich ihm, mich zu meiner ersten Unterredung mit dem König zu führen.
6
Im Thronsaal schmolzen zahllose Bienenwachskerzen in den über uns hängenden Eisenlüstern und brachten die vergoldete Stalaktitendekoration an der Decke wie einen flammenden Himmel zum Leuchten. Mit ernster Miene blickten die weit oben an den Wänden angebrachten bemalten Bronzehäupter der früheren Könige Kastiliens auf uns herab; unter ihren Sockeln hingen breite Wandteppiche aus Seide und Wolle, deren prächtige Farben sich in den polierten Bodenfliesen wie in Wasser spiegelten. Die Luft pulsierte von all den Gesprächen, von Gelächter und den wie Glühwürmchen leuchtenden Prachtkleidern der Höflinge – und alles schien nach Myrrhe, Parfum und Weihrauch zu duften.
Die Geschichte des Alkazar kannte ich wohl. In den eisigen Wintern in Arévalo hatten Beatriz und ich uns damit zerstreut, einander aus den Crónicas vorzulesen; sie berichteten von den Königen und Königinnen, die zwischen seinen Mauern gelebt hatten und gestorben waren. Wie die anderen kastilischen Festungen war auch der Alkazar von Segovia von den Mauren als Zitadelle erbaut worden, ehe er ihnen während der reconquista entrissen wurde. Dass ich im Innern des Palastes, in dem meine Vorfahren gelebt hatten, Ehrfurcht empfinden würde, hatte ich erwartet. Womit ich nicht gerechnet hatte, war das plötzliche und überwältigende Gefühl, dass etwas, das in meinem Blut geschlummert hatte, jäh erwacht war. Ich musste mich zwingen, die Augen auf das Podest mit dem leeren Thron am Ende des Saals zu richten, sonst hätte ich genauso belämmert dreingeblickt wie Beatriz.
Carrillo näherte sich uns und forderte Beatriz auf, beiseitezutreten. Dann führte er mich zum Podest. Die Höflinge wichen vor uns auseinander. Einen schier endlosen Moment lang starrten sie mich an, ehe sie den Kopf ehrerbietig neigten. Fast konnte ich ihre Gedanken hören: Das ist sie also, die Halbschwester des Königs . Es kostete mich enorme Anstrengung, den Eindruck, ich würde von hungrigen Raubtieren abgeschätzt, zu ignorieren. Dann bemerkte ich Mencia in ihrer scharlachroten Robe. Sie stand dicht neben dem Marquis von Villena. Als er die Zähne zu einem Lächeln fletschte, schaute ich weg und konzentrierte mich auf die für das abendliche Bankett aufgereihten Tische, die sich unter den mit Juwelen besetzten, schwer beladenen Tabletts bogen. Darauf türmten sich ganze Berge andalusischer Orangen, Kirschen aus der Extremadura, gezuckerter Mandeln, Datteln, Feigen und Aprikosen – ein wahrhaftiger Garten der Genüsse, und alles in solcher Fülle, dass es mir fast schon wie sündhafte Verschwendungssucht vorkam.
Carrillo verneigte sich vor dem Podest und verkündete mit dröhnender Stimme: » Infanta Isabella!«
Ich machte einen Knicks bis zum Boden hinunter, womit ich mein Unbehagen verbarg. Warum grüßte er einen leeren Thron?
Unvermittelt hörte ich eine sanfte Stimme fragen: »Ist das vielleicht meine kleine Schwester?« Ich spähte nach oben und wurde eines großen Mannes in Schwarz gewahr, der in der Nähe des Thrones auf einem Berg von Kissen lag, allesamt mit Seidenquasten verziert. Neben ihm befand sich ein Teller voller Köstlichkeiten, die ihm eine verschleierte Gestalt in den Mund schob. An der Wand hinter ihm aufgereiht stand ein Regiment aus maurischen Wachposten, jeder mit Krummschwert, Pumphose und Turban, sodass man meinen konnte, sie wären frisch aus Granada eingetroffen.
»Majestad« , murmelte ich.
Mein Halbbruder Enrique erhob
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