Der Schwur der Königin
Thronfolge. Gott braucht Euch hier!«
Ich sah auf meine Hände hinab, dann hob ich die Augen wieder zu ihm. »Was kann ich tun?«, flüsterte ich. »Ich bin machtlos. Der König kann mich verheiraten, mit wem er will. Das hat er auch schon angedeutet. Meine Zukunft liegt in seinen Händen, hat er gesagt.«
Torquemadas Augen glitzerten. »Ihr seid nicht machtlos. Deswegen bin ich ja gekommen: um Euch daran zu erinnern, wer Ihr seid. Heute Nacht werde ich Euch von sämtlichen Eiden entbinden, die Ihr bisher geleistet habt, damit Ihr fortan ein tugendhaftes Leben führen könnt und nur die Diktate Eures Herzens befolgen müsst.«
Er wusste also, dass ich geschworen hatte, mich Joanna zu unterwerfen, und gezwungen war, als jüngere Schwester dem König zu gehorchen. Zugleich war ihm wie auch mir klar, dass Joanna womöglich ein illegitimes Kind war und dass auch mein Halbbruder an ihrem Recht auf den Thron zweifelte, obwohl er Kastilien ins Chaos stürzte, nur um ihren Anspruch aufrechtzuerhalten. Ich selbst hatte unter endlosen Zweifeln gelitten und mich und alles um mich herum infrage gestellt. War dieser asketische Mann die Antwort auf meine Gebete? Hatte Gott Torquemada zu mir gesandt, damit er mir die Wahrheit zeigte?
Ich ließ mich auf die Knie sinken und faltete die Hände.
»Segnet mich, Pater«, flüsterte ich, »denn ich habe gesündigt …«
Tomás de Torquemada beugte sich über mich, um mir die Beichte abzunehmen.
Als ich aus der Kathedrale trat, hatte sich der Mond hinter Eiswolken verborgen. Sofort eilten meine Begleiter aus dem Schatten der Säulenhalle herbei. Ich dankte Cabrera und versprach ihm, dieses Treffen geheim zu halten. Danach kehrten Beatriz und ich zu meinen Gemächern zurück.
Als wir auf Zehenspitzen in unsere Räume huschten, hätte ich fast laut gelacht. Auf einmal wurde mir klar, was für eine Last von mir abgefallen war. Ich hatte keine Angst mehr. Sollten doch Mencia oder Juana höchstpersönlich herausfinden, dass ich ihnen nicht gehorcht hatte. Ich war befreit von dem Kummer, der an mir genagt hatte, seit Alfonso sich selbst zum König erklärt hatte. Und zum ersten Mal seit Wochen hatte ich wieder Appetit. Mich packte ein richtiger Heißhunger auf die schlichte Kost, wie ich sie immer in Arévalo genossen hatte.
Überschwänglich umarmte ich Beatriz. »Ich weiß, dass ich das dir zu verdanken habe, und liebe dich dafür umso mehr! Du bist meine liebste Freundin! Solltest du jemals den Wunsch haben zu heiraten, erteile ich dir schon jetzt die Erlaubnis – das ist ein heiliges Versprechen.«
Sie wich zurück »Ich und heiraten? Euch verlassen? Niemals!«
»Niemals ist eine sehr lange Zeit. Sag, ist noch etwas von dem Brot und dem Käse unter dem Sitz am Fenster übrig? Wenn ja, dann hol es doch bitte.«
Sie stürzte los. Danach saßen wir im Bett und schmausten nach Herzenslust, tuschelten miteinander und streuten in den Ecken Krümel für die Mäuse aus. Nach Einzelheiten über die Begegnung in der Kathedrale fragte Beatriz nicht, und ich sprach auch nicht davon.
Doch wir beide wussten, dass ich nun für den Krieg bereit war.
Mein Ruf zu den Waffen erfolgte wenige Monate später.
In der Zeit bis dahin verbrachte ich nicht mehr so viele Stunden in der Kapelle, dafür umso mehr in der Bibliothek des Alkazar – ein verblüffender, wenn auch vernachlässigter Raum mit einer hohen, gewölbten Decke, die scharlachrot und azurblau gestrichen war, und Regalen, die bis zum Bersten mit alten Texten und dicken Folianten vollgestopft waren. Jetzt beklagte ich meine unzureichende Bildung; ich hatte nie Gelegenheit gehabt, mir Latein und Griechisch, die Sprachen der Gelehrten, hinreichend anzueignen. Aber was ich in unserem heimischen Kastilisch auftreiben konnte, verschlang ich geradezu, darunter die Statuten von Alfonso X., dem König mit dem Beinamen El Sabio , der Weise, weil er seine berühmten Partidas in Auftrag gegeben hatte, die immer noch die Grundlage unseres gegenwärtigen Rechtssystems darstellten. Außerdem las oder übersetzte ich Werke aus König Alfonsos Zeit, darunter arabische Fabeln und Ein Fürstenspiegel , ein mehrbändiges Werk über die Kunst des Regierens.
Zwischen den Phasen fieberhafter Lektüre wurde ich ein ums andere Mal von einer Messingkugel angezogen, auf der die ganze uns bekannte Erde dargestellt war. Sie stand in einer Ecke, und obwohl sie einst geglänzt haben musste, war sie nun von Staub und Alter ganz stumpf. Ich war regelrecht
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