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Der Schwur der Venezianerin

Der Schwur der Venezianerin

Titel: Der Schwur der Venezianerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Tschauder
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belehrend, doch überhörte er die Warnung seines Geschicks. Sie fuhr bereits fort.
    „Auch bei festlichen Anlässen findet der Genüssling selbst mit Abordnungen aus Politik und Kirche stets Gelegenheit, seine lüsternen Augen hingebungsvoll über den nackten Körper des Mädchens gleiten zu lassen, obwohl er sich ausschließlich über die Kunst des Tizians lobend äußert.“
    „Ach, er zeigt das Bild auch öffentlich?“, zu banal waren seine Antworten und Fragen. Reizte er sie doch damit zu mehr Belehrung und Arroganz.
    „Warum sollte er nicht?“, war ihre schnelle Antwort. „Es ist sein Stolz, seine Sehnsucht, sein Verlangen. Nur dann ist dieser Fürst verzagt, wenn für eine kurze Weile das Bild des großen Künstlers zu anderen Gelegenheiten verliehen wird.“
    „Ja, verehrteste Bianca, schon heute scheinen viele Galerien an dem Meisterwerke interessiert …“
    „… weil auch dort meist Männer sitzen, die sich an der Zauberhaften geil ergötzen wollen.“
    Bald setzten beide nach einer kleinen Wanderung in den verträumten Garten das Gespräch fort.
    „Noch scheint das Öl des Meisters auf dem Kunstwerk frisch zu sein, so frisch wie Eure zarte Haut, und schon spricht man allenthalben von diesem großen Kunstwerk. Es wird eingehen in die Werte der Geschichte, die auch noch spätere Generationen bewundern werden. Und doch muss ich gestehen, dass sich das Werk dieses hochgeehrten Meisters mit all seiner Farbenpracht nicht gegen die Entfaltung Eurer Schönheit behaupten kann. Wie kommt es, dass man in diesen erlauchten Kreisen noch nichts vernommen hat von Eurer außergewöhnlichen Schönheit, von der Frische Eurer Erscheinung.“
    „So hat man nicht? Vielleicht wisst Ihr mehr darüber?“, sie lächelte überlegen, zog ihre Mundwinkel an den Seiten herab.
    Nur seine blinde Gier nach diesem schönen Geschöpf ließ ihn die Bedeutung ihrer Fragen missverstehen, und unbedarft fuhr er fort.
    „Doch möchte ich sogleich hinzufügen, welch ein Glück, dass man Euch noch nicht in Venedig erkannt hat. Allzu schnell sind selbst ernannte Liebesjünger dabei, den zarten Blättern einer aufbrechenden Blüte die Unschuld zu rauben.“
    „Ja, wie kommt es, dass man nicht entdeckt wird“, wiederholte sie schmunzelnd seine Worte. „Bedenkt aber wohl, dass sowohl Meister Tizian als auch Tintoretto mich auf die Leinwand gezaubert haben.“
    Er tat so, als habe er es nicht gehört und wüsste nichts davon.
    „Signore Pietro“, ihre langen, seidigen Wimpern legten sich nieder, als sie fortfuhr „Ihr tut mir außerdem zu viel Ehre an. Ich bin ein Mädchen, wie jedes andere. Eine schmale Nase macht nicht schon ein Kunstwerk, wie das des geschätzten Meisters Tizian. Und doch tut mir Eure Sprache wohl, das sage ich Euch frei heraus.“
    „Seid nicht gar zu bescheiden, Signorina, nicht alltäglich entwickelt die Natur ein Kunstwerk, so wie das Eure, genauso wenig, wie sie einen Künstler zustande bringt wie einen Tizian. So gesehen darf ich mich rühmen, gleichermaßen zwei göttliche Kunstwerke in vollkommener Schönheit und makelloser Vollendung betrachten zu dürfen. Die Venus auf dem Gemälde und die noch schönere Venus, die ich vor mir in Wahrheit sehe.“
    „Die eine bekleidet, die andere unbekleidet“, warf sie ein, „was ist Euch lieber?“
    „Die Unbekleidete in der Pose auf …“
    „Nicht jedem ist der Besitz von allem vergönnt“, unterbrach sie ihn, bevor er sich in seinen lüsternen Worten verlor. „Doch verzeiht Pietro, ich habe Euch unterbrochen.“
    Er nickte, fuhr verwirrt fort.
    „Stellte mich mein Denken und mein Fühlen vor die Wahl, geriete ich keineswegs in Schwierigkeiten. Ich würde nicht zögern, mich für Eure lebendige Schönheit zu entscheiden.“
    „Das dürfte Euch nicht schwerfallen, mein Herr, denn es bedürfte einer großen Summe, des göttlichen Meisters Werk zu erstehen. Und lasst mich sagen, ich wäre auch nicht unsicher in der Entscheidung. Im Falle eines Falles fiele meine Entscheidung direkt auf Euch. Obwohl ich nicht einen Augenblick zweifeln würde, dass Ihr genügend venezianische Münzen in Eurem Gepäck führt. Schließlich seid Ihr der Vertreter einer der größten Bankhäuser aus Florenz.
    Pietro schaute sie verwirrt an und wusste nicht, wie er ihre Worte interpretieren sollte.
    Bianca lachte mit offenem Mund, gar nicht so schicklich, wie es den Damen feinerer Gesellschaften anstand. Ihre schneeweißen Zähne blitzten in dem Licht der Sonne. Pietro sehnte sich

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