Der Schwur der Venezianerin
erreicht hatten, nicht wegen der Aufregung, ausschließlich wegen der ungewohnten Anstrengung, den Gipfel zu erklimmen. Noch nie in ihrem Leben hatten sie ein solches Bauwerk auf der Spitze eines Berges gesehen. Die beiden Türme der Festung erdrückten alle ihre Hoffnungen.
„Vielleicht wirst du dich ausruhen können, bevor es zurück nach Venedig geht“, fand Bianca leise die ersten Worte vor dem Tor, „doch weiß ich eins, ich werde heute zu nichts anderem mehr fähig sein.“
„Was immer du auch damit meinst“, fand Pietro zu einem leichten Spott zurück.
Die Riegel des Tores quietschten und verkündeten bis ins Tal „Wir haben die Entflohenen“. Der Burgherr ließ sie höchstpersönlich ein. Er wollte sichergehen, dass seine gefangenen Vögel nicht wieder davon flatterten. Das Tor hinter ihnen schloss sich wie von Geisterhand und der scheuernde Riegel verkündete lauthals: „Falle“. Schon bald saßen sie dem Hausherrn in einem kleinen Raume gegenüber. Das Zimmer in dem Turm ähnelte einem einfachen Schreibzimmer mehr als einem Wohnraum.
„Ich sehe mich sehr froh“, begann er kompliziert, „dass Ihr“, er verneigte sich zuerst vor Biancas zartem Körper, „meine Gastfreundschaft nicht ausgeschlagen habt. Der steile Weg war sicherlich kein Hindernis, Ihr werdet sehen, die Mühe hat sich gelohnt.“
Sie bewertete seine hämischen Bemerkungen als überflüssig und wollte antworten, er könne sich seine zynischen Worte sparen. Aber sie unterließ es, um den Burgherrn nicht noch mehr zu verärgern.
„Nur?“, fragte sie sich, „wie würde sich die Gastfreundschaft lohnen?“
Sie befanden sich in einem typischen Turmraum mit fest gemauerten Wänden aus rauem Sandstein. Der Burgherr, ein Mann im gereiften Alter mit weißem Haar und vollem weißen Bart. Sein strenger Blick überprüfte die beiden Ankömmlinge. Eine funkelnde Freude strahlte aus seinen Augen. Bianca wusste, woher diese Freude kam. „Noch waren sie nicht weit von Venedig entfernt. Lucrezias Häscher hatten längst überallhin Boten und Suchtrupps zur Verfolgung losgeschickt. Der Burgherr der Festung Brisighella würde mit Stolz seinen Fang nach Cappello zurückschicken und eine sichere Belohnung einheimsen. Davon abgesehen machte er sich im Hause Cappello beliebt und könnte zukünftig mit manchen Zuwendungen und Einladungen rechnen. Eine billige, niederträchtige Art sie der Freiheit zu berauben.“
„Was verschafft uns die Ehre, hier Euer Gast zu sein“, fragte Pietro in galanten Worten, sodass sich selbst Bianca erstaunte. „Wollte ihr Lebensgefährte sich bei dem Typ einschleichen?“
„Wir haben Euch, verzeiht, dass ich das so frei heraussage, auf Eurem Weg hierher beobachtet.“ Selbst auf seinem groben Stuhl aus dunklem Holz überragte der schlanke Mann die Ankömmlinge um mehr als einen Kopf. Bianca war verunsichert wegen seiner forschenden Augen, denen nichts zu entgehen schien.
Sie war hörbar erschrocken. „Nun ist alles vorbei“, dachte sie, der Weg der Freiheit ist zu Ende. Sie wurden also schon von Beginn an verfolgt. Wer hatte sie denunziert? Der Gondoliere, der Kapitän, der sich doppelten Lohn versprach, oder welchen Fehler hatte sie selbst gemacht?“ Bianca schloss die Augen und wartete auf die folgenden Worte, die wie Peitschenhiebe auf sie sausen würden.
Der Burgherr wies ohne Verzug auf die Getränke hin.
Auf dem schweren Tisch aus massiver Buche standen gefüllte Wassergläser und daneben ruhte ein Glaskrug. Eine andere Sorte als das feine Porzellangeschirr und die hauchdünnen Wasserkrüge und Gläser im Palazzo Cappello. Einen Moment überlegte Bianca, ob das Wasser vergiftet sein könnte. Doch das würde keinen Sinn machen, außerdem war der Durst so groß, dass sie sich selbst dann nicht zurückhalten könnte. Pietro und sie tranken in großen Zügen.
„Ihr seid zwei Bettelmönche auf dem Weg nach Rom. Wir laden Euch ein, bei uns zu nächtigen und zu speisen, bevor Ihr den schweren Gang in die Berge des Apennino wagt. Sie sind nicht so einfach zu bewältigen.“
„Dieser Zynismus reicht mir allmählich“, erregte sich Bianca still, „muss er uns noch mehr quälen als notwendig?“
Und schon sprach der Burgherr weiter:
„Nur einer von Euch kann sprechen, auch dies haben wir erfahren“, eine bedauernde Geste erreichte Bianca, „doch spricht der andere auch für ihn. Zuerst, so denken wir, solltet Ihr, es ist nur wenigen vergönnt, ein Bad nehmen, um Euch vorzubereiten für das
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