Der Schwur der Venezianerin
Mörderbande herunter, wie eine Litanei, deren Sinn dem Betenden längst abhandengekommen war. Noch nicht einmal das grauenvolle Leid, das er seinen Opfern zugefügt hatte, war ihm bewusst. Bianca beobachtete ihn, wie er einen feuchten Grashalm spielend in den Händen hielt, und wie er nickte, als müsste er sich selbst bestätigen.
Er war ein kräftiger Mann von mittlerer Größe. Allein sein Bart und seine zerzausten dunklen Haare waren in der Lage jedem Gefangenen Angst einzujagen, sagte sie sich zum wiederholten Mal. Umsomehr überraschten Bianca seine mitfühlenden Worte über seine Heimat. Sie spürte den Drang in ihm, mit dem Morden aufhören zu können. Doch wo sollte er hin? Überall wurden sie gejagt und verfolgt. Ihnen blieb nichts anderes übrig als zu rauben. Als er davon sprach, sagte sie: „Und Ihr glaubt, ich hätte jetzt Mitleid mit Euch? Ihr seid nichts anderes als ein Mörder.“
Sie sah es ihm an, wie er aufbrausen wollte, und fügte schnell hinzu:
„Allerdings …“
Er blickte sie stirnrunzelnd an „allerdings“?.
„Auch dem einsichtigen und umkehrenden Mörder wird verziehen.“
Der Condottiere nickte einem Stein vor sich zu.
„Könnt Ihr Euch vorstellen, dass all dieses Herumtreiben die Gefühle tötet?“, fragte er seine schöne Gefangene.
Sie schaute auf ohne ein Wort zu sagen, Ihre Augen glühten ihn zornig an, ihr Blick forderte ihr eigenes Recht.
„Natürlich konnte all dies meine Gefühle nicht abtöten“, fuhr er fort, „ich glaube das geht gar nicht. Aber ich habe gelernt, mit der Grausamkeit zu leben, ich habe gelernt, mir die Grausamkeit anzuschauen. Und doch habe ich immer wieder von Zeit zu Zeit wenigstens das Bedürfnis, damit Schluss zu machen. Ich kann bloß nicht.“
Bevor sie eine Antwort geben konnte, hatte sich der Halunke erhoben. Er strich sich mit der Hand über seinen Bart und kümmerte sich um seine Bande, gab einige unverständliche Befehle.
Die Gruppe ließ es ruhig angehen, kochte einen guten Pfefferminztee und kaute über einem offenen Feuer an gebratenem Geflügel und trockenem Brot.
Immer wieder erfüllte der Blick in das Tal zu ihren Füßen die junge Bianca mit Freude. Sie war so nahe ihrem Ziel gewesen, jetzt schien alles zu Ende zu sein. Pietro war in stumpfsinnige Apathie verfallen.
Die dicht bewaldeten Berge des Apennino standen in voller Frucht. Ein regenreiches Frühjahr und ein heißer Sommer schenkten den Bäumen gesunde, saftig grüne Kronen. Die Sonne stieg aus dem Osten höher und das kräftiger werdende Licht ergoss sich über die Höhenzüge und die tiefen Taleinschnitte. Eine Farbenpracht, wie sie Bianca noch niemals erlebt hatte. Venedig mit seinen vielen Kanälen hatte im Vergleich dazu wenig zu bieten. Selbst der eigene Garten hinter ihrem Palazzo war nur ein winziger künstlicher Edelstein, gegenüber diesem unbehauenen und ungeschliffenen Rohdiamanten, den sie zu ihren Füßen sah. Natürlich konnten die Parks nahe der Villa auf dem Lande, die sie im Sommer bezogen, nicht mit dieser Farbenfülle mithalten. Dunkle Fichten- Kiefer- und Tannenwälder durchzogen die lichtvollen Streifen des Laubwaldes mit tiefgrünen Streifen. Wo die kräftigen Sonnenstrahlen direkt auf die Blätter fielen, leuchtete das satte Grün, als hätte es eine Lichtquelle in sich selbst.
Noch befand sich die Gruppe auf den höchsten Erhebungen. Rechts und links schwangen sich Gebirgszüge in die Höhe. Ebenso weit im Hintergrund, mit einem sanften Blauschimmer angestrahlt, schufen die Berge eine hohe Wand. Doch zwischen diesen Anstiegen lag in der Mitte unter ihnen ein Tal, das sich in der Ferne hindurchwand.
„Hier in der Nähe entspringt die Lamone, der Fluss, der auf der anderen Seite bis in das Adriatische Meer fließt“, Bianca hörte erneut neben sich die Stimme des Condottiere. Er konnte sich nicht von ihr lösen und schien doch nicht den Willen zu haben, sie wie eine alte Matratze zu nehmen, um sie dann wieder fortzuwerfen.
„Wir werden Euch die Quelle zeigen, damit Ihr wisst, wo Ihr gewesen seid“, sie spürte den Zynismus in seinen Worten, konnte gerne auf das Erlebnis verzichten.
„All diese Schönheit werde ich nie vergessen“, fuhr er fort, „habe sie nie vergessen, selbst in all den Jahren der grausamen Kriege nicht.“
Bianca verspürte nicht die geringste Lust, mit ihm über seine eigene Geschichte zu sprechen und sich das Leid eines alternden Ganoven anzuhören. Anders konnte sie aber nicht seine Zuneigung gewinnen, die
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