Der Schwur der Venezianerin
Schlafkammer bleiben sollen, deine Sinne spielen dir einen Streich. Die Sonne ist aufgegangen, öffne die Augen, die Nebelfetzen sind verschwunden, der Ort liegt klar und offen vor uns.“
„So klar und so offen, wie ich meine Tage hier in diesem schönen Nest wahrnehme, mein lieber Pietro, so deutlich wirst du das Dorf nicht sehen können. Ich habe eine Vorahnung. Es wird geschehen. Hier wird meine Residenz sein. Nichts wird mich mehr daran hindern, die glücklichen Tage in Pratolino zu suchen. Höre zu, der Maler hat das Bild schon längst gemalt. Der Bildhauer hat die Statuen geformt. Mein Erlebnis des Apennino erkenne ich in einer Allegorie, die die Menschheit erstaunen lässt. Der Architekt ließ längst den letzten Ziegelstein aufmauern, der Gärtner hat den schönsten Garten der Welt geschaffen. Alles, aber auch alles sind meine Ideen, die in die Wirklichkeit umgesetzt werden. Mach die Augen auf, erkenne die Schönheiten“, flüsterte sie bewegt.
Ihr Begleiter hatte längst erschöpft auf einem Baumstumpf Platz genommen, um sich wenigstens während der Zeit ihrer Träume ausruhen zu können.
„Du weißt, Pietro, Venedig ist während der Sommermonate unerträglich heiß. Niemand hält es dort länger als unbedingt notwendig aus. Du hast mir erzählt, ähnlich ginge es den Menschen in Florenz. Sie alle haben ihre Landvillen außerhalb der heißen und stinkenden Stadt im Sommer. Die Villen auf dem Land bieten ihnen die Erholung im Sommer, ihre Vergnügungen, ihre Ablenkungen und auch ihre frische Atemluft.“
Auf seinem Baumstumpf nickte er, ohne dass sie sein Nicken bemerkte, sie interessierte sich auch nicht dafür, als sie fortfuhr:
„Ich fühle es, ich erahne es. Ich sehe die Bilder vor mir. Sie sind Wirklichkeit. Dieser Ort ist das schönste Kleinod für meine Erholung in der heißen Jahreszeit und nicht nur dann. Siehst du die leichten Nebel? Erkennst du die Feuchtigkeit, die sich hier nachts niedergelassen hat? Das sind Zeichen für eine frische, wohltuende Umgebung. Hier werde ich Erholung finden können. Die Villa steht dort unten zwischen den hohen Zypressen. Erkennst du die Kastanien, die Steineichen und die vielen Lindenbäume, deren Duft uns betörend umgibt? Dort entlang werden die kleinen Wanderwege gehen, die ich im Kreise meiner Freunde zu beschreiten gedenke.“
Mit ihren Händen zeigte sie die Orte an, die sie in ihrem Gemälde entdeckt hatte.
„Oh, du Sohn der Sünde, wer ist nicht alles von der Hölle bedroht, lasst uns gemeinsam beten, lasst uns die Erdenqual lindern mit einer milden Gabe“, hörte sie Pietro faseln, als sei er geradewegs verrückt geworden. Sie öffnete ihre Augen und erkannte noch rechtzeitig das Herannahen eines Bauern mit seiner Kuh.
„Höre zu, mein frommer Bruder und ich haben den langen Weg über von Venedig hierher über die Passhöhe für Euch arme Sünder gebetet. Der Herr möge Eure Sünden verzeihen und Euch den rechten Weg in das Himmelreich weisen. Wir haben unsere Pflicht getan“, herrschte er den Bauern an, „wir sind vor lauter Beten nicht zum Essen gekommen, geschweige denn zum Schlafen, nun ist es an Euch, Eure Schuld zu tilgen. Opfert dem stummen Mönch an meiner Seite eine kraftvolle Suppe und ein gutes Bett für ein paar Stunden, der Herr wird es Euch lohnen. Wenn Ihr aber nicht Eure Pflicht für einen betenden Mönch nachkommt, werdet Ihr mit den Teufeln in die Hölle einfahren und dort ewige Zeiten braten und kochen. Andere werden dann an Eurem Fleisch knabbern und Euch das Fell über den Kopf ziehen.“
„Oh Herr, ich eile schon, meinem Weib, die frohe Botschaft zu überbringen, dass ein stummer Mönch und sein Kumpan, die Güte haben, unsere armselige Hütte zu besuchen. Wir werden das letzte Hemd für Euch opfern, betet nur weiter für uns, und helft uns armen Bauern, den Weg in den Himmel zu finden.“
Der Bauer hatte sich vor den Mönchen auf den Boden geworfen und die Erde mit seiner Stirn berührt.
„Schwachsinniges Geplänkel“, zischte Bianca. „Was soll diese Unterwürfigkeit. Wir aber Pietro haben den Tag erst begonnen, und schon wieder faselst du vom Essen und vom Bett.“
„Wie, was?“, entfuhr es dem Bauern, als er die Stimme Biancas vernahm, „der Stumme redet?“
„Selig sind die, die den Stummen eine milde Gabe geben, ihnen wird der Herr einst den Weg in das Himmelreich weisen. Euch aber, Bauer, ist heute ein Wunder geschehen, Ihr habt dem jungen Mönch für einen Augenblick die Stimme mit Eurer
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