Der Schwur der Venezianerin
das ganze Geschehnis zu machen, stellte er Abend für Abend dieselben Fragen an sich, die er doch nicht beantworten konnte. Er hatte alles, er besaß alles, war doch nur ein Wrack eines unbedeutenden Menschen. Die Leute um ihn herum betrachteten ihn als ruhig und gelassen. Andere wiederum als brutal, zynisch und gleichgültig den Leiden anderer gegenüber. Nur er selbst wusste, dass er nicht ein in sich selbst ruhender Geist war; er war traurig. Seine Traurigkeit sammelte sich in seinem Leben an, wie ein Fass langsam voll Wasser läuft. Den Überlauf kanalisierte er in Alchemie und sexuellen Abenteuern meist mit Bianca.
Nach dem Besuch im Bett bei Johanna fragte er sich verzweifelt:
„Welch trübsinniger Sinn macht mir zu schaffen? Oh, welch schlimmer Geist hat meine Seele vergiftet, welche traurigen Bilder trage ich mit mir herum? Ich verabscheue die Gewalt und bin ihr doch hörig, ich verabscheue den Reichtum und bin von ihm eingefangen.“
Dann trieb es ihn in die Arme der schönen Bianca, als suchte er nach dem Weg, die Schmach der geschlechtlichen „Pflicht“ mit der Freude der geschlechtlichen „Kür“ reinzuwaschen. Doch auch seiner über alles geliebten Bianca erzählte er nichts von seinen traurigen Stunden und Quälereien. Aber eine Frau wie sie hatte längst sein größtes Leid erkannt. Sie versuchte ihm zu helfen und tat doch das Falsche.
Francesco vergrub sich in seiner Alchemistenküche, experimentierte, forschte und suchte nach Lösungen, die ihm das Heil versprachen.
Schon bald hatte er auch für sein Experimentieren in der Hexenküche in Bianca die Partnerin gefunden.
„Was ist es, hoher Herr“, hatte sie ihn eher spöttisch als interessiert gefragt, „was ist es, das Euch so in der Alchemie gefangen hält?“
„Es gibt eine Kraft“, hatte er ihr wohl gesonnen geantwortet, „die das Leben schlechthin beinhaltet. Eine Kraft der Natur und so wie die Natur es geschaffen hat, das Höchste zu erschaffen.“
Nur manchmal überkam ihn die Erkenntnis, dass er doch nur an der Oberfläche dieser Welt kratzte, ohne zu wissen, warum sein Geist so leicht von außen steuerbar war.
Auf seine Worte antwortete Bianca:
„Und doch verstehe ich deine Suche nicht. Du bist mit dem Glück auf dieser Erde gesegnet, und doch bist du nicht zufrieden, suchst nach einer Lösung, ich weiß nicht von was?“
„Es mag sein, dass mich das Glück der Edelsteine und des Goldes auf dieser Erde nicht verschmäht, aber gerade das mag es sein, was mein Forschen bewegt. Es ist etwas, das über diese Erde hinausgeht, über das einfache Trachten nach Glück und Wohlstand hinweggeht, als gehöre es zu den Gütern der Hölle.“
„Das sind große Worte, die ich nicht verstehe“, hatte sie geantwortet. „Erkläre mir mehr darüber.“
„Vielleicht suche ich noch nach dem ewigen Leben“, sagte er zu Bianca.
„Und das ewige Leben suchen auch die Alchemisten?“
„Das ewige Leben und die ewige Schönheit, sie sind ein anderer Zweig in der Alchemie, haben aber die gleiche Bedeutung wie die Suche nach der Transformation des Bleis in Gold. In Wirklichkeit sind sie nicht ein anderer Zweig. Sie gehören zusammen. Vergänglichkeit und ewiges Leben, Hässlichkeit und Schönheit, Blei und Gold sind die sich gegenüberstehen Elemente, die der Alchemist in den Griff bekommen will.
„Und damit wirst du, mein Herr, noch ein weiteres gegensätzliches Wertepaar handeln können. Es ist der Namenlose mit dem in vielen Büchern gepriesenen Erretter der Menschheit.“
Er lächelte seine schöne Freundin an.
„Es ist das eine wie das andere. Habe ich die Zauberformel des einen, so habe ich sie für das andere, für alles. Es ist der Lapis Philosophorum, dem ich auf der Spur bin, der Stein der Weisen. Er ist es, den ich schaffen werde, er ist es, den ich finden werde. Mit ihm, den ich unbegrenzt erneuern kann, schaffe ich die Umwandlung des Niedrigen in das Höhere, in das Höchste.“
Längst hatte die junge Patrizierin aus Venedig ihren eigenen Reim aus seinen Worten zusammengesetzt. Die alles opfernde Begierde erfasste sie bei dem Gedanken, die ewige Schönheit, die ewige Jugend, das ewige Leben erreichen zu können. Wenn sie das hätte, stets neu erschaffbar mit dem Stein der Weisen, würde sie die einzig Göttliche sein im Kreis der Fürsten- und Königstöchter. Längst interessierte sie das Gold nicht mehr, noch weniger das Blei, die Juwelen nicht und nicht das Porzellan. Der Weg aber sollte der gleiche sein, bei dem
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