Der Schwur des Maori-Mädchens
Sachen«, befahl er. »Ich werde gleich aufbrechen.«
»Meinst du nicht, es wäre besser, Maggy in meinem Haus zu lassen, bis sich ihr Zustand gebessert hat?«, bemerkte Bella schwach.
»Nein, Makere gehört zu uns. Bitte, macht, was ich euch sage.«
Ripeka verließ daraufhin mit gesenktem Kopf das Zimmer, um Maggys Habseligkeiten einzupacken. Bella aber blieb wie erstarrt zurück.
»Mein Junge, ich glaube dir ja, dass du das Beste für sie willst«, sagte sie nach einer Weile. »Aber das hier ist ihre gewohnte Umgebung, und ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass sie eines Tages wieder spricht und die Alte wird.«
»Sie wird nie wieder die Alte, denn sie ist keine Pakeha mehr. Nur bei unseren Leuten wird sie sich darauf besinnen, dass sie eine Prinzessin ist.«
Bella biss sich auf die Lippen. Sie sah ein, dass es keinen Zweck hatte, den jungen Maori vom Gegenteil überzeugen zu wollen. Stattdessen hockte sie sich zu Maggys Füßen und streichelte ihr liebevoll über die Wangen.
»Maggy, du gehst jetzt mit deinem Bruder nach Kaikohe, aber wenn du mich brauchst - ich werde immer für dich da sein. Du bist in meinem Haus jederzeit willkommen ...« Sie unterbrach sich, weil sie befürchtete, der junge Maori werde sie wegen ihrer Worte zurechtweisen, doch Matui hatte die Hände vor das Gesicht geschlagen, und seiner Kehle entrang sich ein jämmerliches Schluchzen. Bella wollte dieser Anblick schier das Herz zerreißen, doch sie machte keine Anstalten, ihn zu trösten, sondern überließ ihn seinem Schmerz.
Erst als Ripeka mit Maggys Köfferchen in der Hand zurückkehrte, hörte Matui zu weinen auf. Er trat auf seine Schwester zu und zog sie vorsichtig aus dem Sessel hoch.
»Komm, Makere, wir gehen nach Hause«, flüsterte er, während er sie unterhakte. Ripeka drückte ihm den Koffer in die freie Hand. Maggy ging, ohne eine Miene zu verziehen, mit ihm.
Bella und Ripeka folgten den beiden bis auf die Veranda.
»Danke für alles, was ihr für sie getan habt«, sagte Matui zum Abschied gequält.
Kaum waren die beiden aus ihrem Blickfeld verschwunden, als sich Bella und Ripeka weinend um den Hals fielen.
»Ob das gut geht?«, schniefte Bella. »Nun können wir nichts mehr für sie tun.«
»Doch, es gibt noch etwas«, bemerkte Ripeka mit tränenerstickter Stimme.
Bella hörte auf zu weinen und musterte die Maori verwundert.
»Ich werde auf der Stelle packen«, sagte Ripeka.
»Packen?«
»Ja«, seufzte die Maori. »Ich muss das Kind doch beschützen.«
»Das Kind? Aber du willst doch nicht etwa auch nach Kaikohe gehen?«, fragte Bella entsetzt.
»Nein, ich meine Maggys Kleine. Ich werde mich nach Auck-land durchschlagen und das Baby suchen.«
»Ja, und dann? Was willst du machen?«
»Ich werde die Carringtons finden und für sie arbeiten.«
»Du willst was?«
»Ich werde in June Carringtons Haushalt arbeiten.«
»Aber... aber... ich meine... du glaubst doch nicht im Ernst, dass Walter Carrington dich bei seiner Schwiegertochter arbeiten lässt, obwohl du alles weißt, denn es war doch Henry, der dem Mädchen das Schreckliche angetan hat, nicht wahr? Schau dir die Kleine nur an. Sie ist Emily Carrington wie aus dem Gesicht geschnitten. Ich bin doch nicht blind.«
»Und genau deshalb wird Walter Carrington sogar ein gutes Wort für mich einlegen und mich seiner Schwiegertochter förmlich andienen.«
»Du willst ihn erpressen?«
Ripeka funkelte Bella abschätzig an.
»Was für ein hässliches Wort. Aber wenn du so willst, ja. Mein Schweigen dafür, dass ich das Mädchen behüte und beschütze und ihm nicht von der Seite weiche, solange ich lebe. Das bin ich Maggy schuldig.«
»Aber was, wenn Matui erfährt, dass Henry Carrington der Mann ist, den er sucht?«
»Matui darf es eben nicht erfahren. Niemals! Hörst du? Oder willst du, dass dem unschuldigen kleinen Geschöpf auch noch der Vater genommen wird?«
»Ripeka, du bist wahnsinnig!«, rief Bella aus. »Wahnsinnig mutig!«
Das allerdings hörte die Maori nicht mehr, weil sie bereits auf dem Weg zu ihrem Zimmer war, um ihre Sachen zu packen.
Wenig später kehrte sie mit einem Bündel in der Hand zurück. Unter Tränen verabschiedeten sich die beiden Frauen, und Bella sah der tapferen Maori noch hinterher, als diese längst die Mission verlassen und den ersten grünen Hügel auf ihrem Weg in eine ungewisse Zukunft überquert hatte.
2. Teil
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