Der Schwur des Maori-Mädchens
fragen, ob Henry dir etwas für mich dagelassen hat.«
»Ach, Liebling, lass sein! Du siehst doch, dass es June nicht gut geht. Das werden wir klären, wenn wir uns alle in Dunedin Wiedersehen.«
Tomas wand sich. »Nein ... ja, wir sollten die Sache lieber aus der Welt schaffen, bevor die Kinder kommen.« Er hielt inne und atmete noch einmal tief durch. »June, bist du sicher, dass er wirklich in Russell ist?«
»Ja, selbstverständlich, wo sollte er denn sonst sein?«
»June hat recht. Was stellst du ihr für merkwürdige Fragen?«
»Er hat sich von mir eine größere Summe Geld geliehen ...«
»Aber das kann doch bis Dunedin warten«, versuchte seine Frau abzuwiegeln.
»Das habe ich nicht gewusst«, erwiderte June fassungslos. »Und er hat es dir vor deiner Abreise zurückgeben wollen?«
Tomas atmete schwer. »Ja, ich habe es jedenfalls von ihm verlangt, und da hat er gesagt, dann müsse er sich wohl nach England absetzen, wenn er es mir nicht zurückzahlen könne ...«
Mabel lachte erleichtert auf. »Ach, Liebling, das war ein Scherz! Du kennst doch Henrys Humor. Er würde doch nicht flüchten, weil du ihm ein wenig mit Geld ausgeholfen hast. Was ist mit eurer Firma? Die würde er doch nicht einfach dir überlassen. Und er würde doch niemals June und Lily...«
»Es ist mehr Geld, als ich es dir gegenüber zugegeben habe, Mabel«, unterbrach Tomas seine Frau sichtlich betreten.
June aber hörte gar nicht mehr zu, was die beiden redeten. Das Geld war ihr gleichgültig. Um Geld musste sie sich nicht den Kopf zerbrechen. Bereits vor ihrer Hochzeit hatte ihr der Vater eine nicht unbeträchtliche Summe überlassen, verbunden mit dem Versprechen, von diesem Vermögen niemals Henry zu erzählen. Trotz ihrer anfänglichen Verliebtheit hatte sie sich eisern daran gehalten und dieses Vermögen stets vor ihrem Mann verbergen können. Etwas ganz anderes verursachte ihr heftiges Herzklopfen. Was, wenn Henry tatsächlich nicht mehr aus Russell zurückkehren würde, weil Matui ihn dort aufspürte und Rache übte? Kam es da nicht äußerst gelegen, wenn man Henry bei bester Gesundheit in England vermutete? Auf diese Weise konnte man Lily ersparen, um ihren Vater zu trauern. In diesem Augenblick wurde ihr bewusst, dass sie Matui ihren Mann nicht nur ans Messer geliefert hatte, sondern dass sie ihm bei seinen Racheplänen auch ein gutes Gelingen wünschte. Ja, wenn sie ehrlich war, wünschte sie sich aus tiefstem Herzen, dass Matui Henry für immer verschwinden ließ... Sie wollte diesen Mann niemals Wiedersehen. Wenn nämlich doch, dann hätte sie für nichts garantieren können. Vielleicht würde ich eigenhändig zur Waffe greifen, durchfuhr es sie ungerührt. Was Henrys Tod anging, hatte Matui in ihr eine stille Verbündete, nicht aber bei seinem Plan, Lily mitzunehmen, und wenn sie tausendmal seine Nichte war. Sie darf um keinen Preis der Welt erfahren, wer sie wirklich ist, ging es June durch den Kopf.
Lilys und Edwards Stimmen rissen sie aus ihren Gedanken. Sie rang sich zu einem Lächeln durch, als die beiden, vertieft in ein angeregtes Gespräch über die beste Art, Wunden zu behandeln, das Esszimmer betraten. Sie war froh, dass sie nun nicht mehr gezwungen wäre, über das geliehene Geld und Henrys angebliche Flucht zu reden. Sie hatte ihre eigenen Pläne, und das allein zählte. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass sowohl Mabel als auch Tomas sie gleichermaßen verwundert anstarrten. June vermutete, dass ihr Verhalten den beiden befremdlich erschien. Schließlich war sie so tief in die eigenen Gedanken abgedriftet, dass sie nicht einmal mehr mitbekommen hatte, was am Tisch geredet wurde. Ob sie sie etwas gefragt hatten und sie nicht geantwortet hatte?
»Entschuldigt bitte, aber das mit dem Geld, das ist mir sehr unangenehm. Vielleicht kann ich es euch wiedergeben«, raunte June ihren Gästen zu, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass die jungen Leute sich immer noch angeregt unterhielten und das Gespräch nicht mitbekamen.
»Auf keinen Fall!«, entgegnete Tomas entschieden. »Wir können übrigens von Glück sagen, dass wir die beiden schönen Häuser über unsere Geschäftspartner in Dunedin bekommen konnten. In der Innenstadt soll es wegen der vielen Menschen nämlich ganz grauenhaft sein. Die Straßen sind matschig, der Müll stapelt sich, und Krankheiten breiten sich aus. Es wird höchste Zeit, dass dieses Goldsuchergesindel weiterzieht, damit wir
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