Der Schwur des Maori-Mädchens
verdient hat. Sehen Sie mich doch an. Ich dürfte schon lange nicht mehr am Leben sein. Wissen Sie, dass ich die Letzte meines Stammes vor einer halben Ewigkeit begraben habe? Nun gibt es nur noch mich und jenen, der seine Wurzeln verleugnet...« Er stockte.
Fred trat derweil verlegen von einem Fuß auf den anderen. »Ich wollte sagen, dass ich hoffe, Sie machen eine Ausnahme für mich und erzählen mir, worum es hier eigentlich geht. Warum Sie Tag für Tag auf diesen Platz kommen und wer diese Frau ist, die Sie an seiner Stelle geehrt sehen möchten und deren Bildnis Sie offenbar geschnitzt haben.«
Der Alte schüttelte den Kopf. »Nein, ich werde mit keinem darüber reden, der daraus einen Zeitungsartikel macht.«
»Auch dann nicht, wenn ich Ihnen verspreche, dass ich nichts schreibe, was Sie nicht möchten?«
Die Augen des alten Maori verengten sich zu Schlitzen. »Sie sprechen mit doppelter Zunge, Mister Summer - oder sollte ich Sie lieber doch Mister Newman nennen?«
Fred sah den alten Mann entgeistert an. »Woher kennen Sie meinen Namen? Ich meine, woher wissen Sie, dass ich ...«
»Ich weiß über den Bischof von Auckland, was ich wissen muss. Er kehrte vor über zwanzig Jahren nach einer langjährigen Abwesenheit nach Neuseeland zurück. Mit seinem fünfjährigen Sohn und seiner australischen Frau. Sein Sohn arbeitet inzwischen beim Herald. Man munkelt, er habe eine große Karriere vor sich und sei sehr ehrgeizig.« Der Alte lachte aus voller Kehle, als er in Freds verblüfftes Gesicht blickte. »Dass Sie dieser Frederik Newman sind, weiß ich vom alten John. Ihm gehört das Hotel. Ich hatte ihn gebeten, mir mitzuteilen, welche Zeitungsleute bei ihm wohnen, damit ich weiß, wie groß die Gefahr ist, aufs Kreuz gelegt zu werden. Einer Ihrer Kollegen hat es gestern erst versucht. Er stellte sich mir als Händler von Knochenamuletten vor und tat so, als würde er in unserer Tradition leben. Dabei steckte so viel Pakeha in ihm, dass er mich nicht eine Sekunde lang täuschen konnte ...«
Fred grinste. »Das kann doch nur der Bursche aus Wanganui gewesen sein.« Dann stieß er einen tiefen Seufzer aus. »Ach, was würde ich darum geben, wenn Sie mir Ihre Geschichte dendoch anvertrauen würden.«
»Mister Newman, Ihnen als Zeitungsmann kann und will ich nicht mehr dazu sagen, als dass Ihr Vorfahr es nicht verdient hat, geehrt zu werden, und dass Lily Ngata eine bewundernswerte und mutige Frau gewesen ist...« Der Alte hielt inne und musterte den Reporter kritisch. »Aber das sollten Sie doch eigentlich am besten wissen.«
»Entschuldigen Sie bitte, aber diesen Namen habe ich noch nie zuvor gehört. Woher sollte ich ihn kennen?«
In den Augen des Maori funkelte es gefährlich. Dann wurde sein Blick weicher, und er sah Fred mitleidig an.
»Sie wissen es also wirklich nicht? Er ist sein ganzes weiteres Leben lang vor der Wahrheit davongelaufen. Aber sie wird ihn einholen. Eines Tages wird sie ihn einholen, und dann wird er sich den Ahnen stellen müssen.«
Vivian war wie gelähmt. Zum ersten Mal, seit sie in diesem Land angekommen war, fühlte sie deutlich, dass ein Teil ihrer eigenen Wurzeln möglicherweise hier zu finden war. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Und hatte sie nicht ein Recht zu erfahren, was es mit dieser Frau auf sich hatte? Ohne zu wissen, wie ihr geschah, spürte sie auf einmal, dass sie etwas anderes in den Norden geführt hatte als die bloße Neugier auf Freds Arbeit und ihr Interesse am Journalismus. Da hörte sie sich bereits laut sagen: »Und wenn Ihnen Frederik schwört, kein einziges Wort darüber in der Zeitung erscheinen zu lassen, würden Sie uns dann verraten, welches Geheimnis sich dahinter verbirgt?«
Fred blickte Vivian entsetzt an.
Der alte Mann sah zweifelnd von Vivian zu Fred. »Wenn Frederik offen für das Geheimnis seiner Ahnen ist und mir schwört, dass er sein Wissen ausschließlich dafür verwendet, die Ahnen zu ehren, werde ich es ihm verraten. Es ist sein gutes Recht, Kenntnis zu erlangen, woher er kommt und wohin er eines Tages geht. Was kann er dafür, dass sein Vater ein Leben lang auf der Flucht ist?« Er musterte Fred durchdringend. »Aber eines musst du mir versprechen, mein Junge. Du darfst mich nicht dafür hassen. Die Wahrheit ist stärker als die Angst und alle diese Lügen. Sie wird dich aus dem Dunkel hinausführen... Und du musst mir vertrauen und mich nicht dafür verabscheuen wie ...« Er stockte und
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