Der Schwur des Maori-Mädchens
Morrison streckte Vivian ebenfalls die Hand zur Begrüßung hin und musterte sie wohlwollend mit jenem gewissen Blick, wie es die älteren Herren auf der Überfahrt aus London getan hatten.
Er taxiert mich als Frau, durchfuhr es Vivian, und der Gedanke löste großes Unbehagen in ihr aus.
Dennoch zögerte Vivian nicht, seine Hand zu nehmen, wenngleich sie sich nichts sehnlicher wünschte, als dass der Boden sich auftun und sie verschlucken möge. Dieses unerwartete Familientreffen ging ihr allzu nahe.
»Sie sind also die junge Dame aus London, die sich für mein Geschäft interessiert? Dann wird es Sie wohl freuen zu hören, dass ich Sie hiermit herzlich einlade, nach Ihrer Rückkehr ein wenig in unseren Zeitungsalltag hineinzuschnuppern.« Obwohl er ausgesucht freundlich war, verspürte Vivian darunter eine leichte Verunsicherung. Wahrscheinlich hatte seine Tochter ihm verschwiegen, dass sie, Vivian, alles andere als ein blasses, blondes, britisches Mädchen war.
»Und Sie sind eine entfernte Verwandte von Bischof New-man?«, fragte er nun neugierig.
»Ja, aber sehr entfernt«, erwiderte sie ausweichend.
»Umso anständiger, dass der Bischof Ihnen ein neues Zuhause geboten hat. Wie ich hörte, haben Sie binnen kürzester Zeit beide Eltern verloren.«
»Ja, das ist sehr anständig von ihm«, wiederholte Vivian monoton, doch den spöttischen Unterton schien nur Fred herausgehört zu haben. Er wandte sich ihr erschrocken zu, bevor er seine Braut und deren Vater in geschäftigem Ton fragte: »Aber nun sagt mir doch, was führt euch her?«
Isabel sah ihn ungläubig an. »Was uns herführt? Kannst du dir das nicht denken? Glaubst du, Vater oder ich wollen in Auckland Däumchen drehen, während du an einer Geschichte dran bist, die weit über die Northlands hinaus enormes Interesse erregt? Sogar der Chronicle hat einen seiner Mitarbeiter hergeschickt.«
»Ach ja? Unser Herr Kollege ist also doch nicht rein zufällig hier, wie er uns weiszumachen versuchte«, höhnte Fred.
»Nein, um Himmels willen, er ist der beste Mann aus Wanganui«, erklärte Robert Morrison im Brustton der Überzeugung.
»Entschuldigen Sie, aber ich würde mich jetzt gern zurückziehen«, bemerkte Vivian förmlich.
»Aber natürlich, das verstehen wir doch. Sie haben heute wahrscheinlich schon fleißig gearbeitet. Mir ist zu Ohren gekommen, dass Sie und Fred richtig erfolgreich sind und dass der Maori einen Narren an Ihnen gefressen hat. Es ist das Gesprächsthema im Ort. Und dass er euch beide in sein Haus eingeladen hat, wissen wir auch schon ...«
»Woher?« Vivian war erschrocken zusammengezuckt.
»Frederik hat uns gestern telegrafiert, dass der störrische Alte euch empfängt«, berichtete Mister Morrison nichts ahnend. »Und deshalb haben wir uns heute Morgen gleich auf den Weg gemacht. Wir waren aber inzwischen auch nicht gänzlich untätig, sondern haben bereits den Herren von der Gemeinde unsere Aufwartung gemacht. Der Pfarrer hat uns inständig gebeten, den Namen Newman aus der Sache herauszuhalten, damit es dem Bischof von Auckland nicht schadet. Und darauf, mein Junge, kannst du dich verlassen! Schließlich sind wir bald eine Familie. Also, sei unbesorgt. Wir werden diesen Walter Carrington also nur den Missionar nennen.« Dann wandte er sich Vivian zu. »Sie begleiten uns doch heute Abend zum Essen, nicht wahr?«
»Leider nicht. Ich, ich habe bereits eine, eine Verabredung«, stammelte sie, was ihr einen prüfenden Blick Freds einbrachte.
»Auf Wiedersehen«, fügte sie knapp hinzu und eilte auf den Hoteleingang zu. Sie hatte nur noch einen Wunsch: sich in ihrem Hotelzimmer zu verkriechen.
Kaum dass sie auf ihrem Bett lag, wirbelten ihre Gedanken wild durcheinander. Was wäre geschehen, wenn Isabel und ihr Vater nicht nach Whangarei gereist wären? Hätte sie Freds Charme dann wirklich widerstehen können? Wohl kaum, dachte sie seufzend, denn vor sich selbst konnte sie es kaum verbergen: Sie hatte sich in Frederik verliebt, und zwar heftig! Solche starken Gefühle wie für ihn hatte sie noch niemals zuvor für einen Mann empfunden. Das machte die Sache nicht gerade einfacher, denn sie hegte nicht den geringsten Zweifel, dass Fred die blond gelockte Isabel mit ihrem einflussreichen Vater trotzdem geheiratet hätte. Die Vorstellung, dass Fred diese Frau heiraten und mit ihr ein eigenes Zuhause haben würde, ließ sie erschaudern. Und was dann? Würde sie, Vivian, es ohne ihn
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