Der Schwur des Maori-Mädchens
Während die Maori zum Ausgang strebte, fügte sie voller Zorn hinzu: »Wenn das christliche Nächstenliebe sein soll, verfluche ich den Tag, an dem ich mich habe taufen lassen.« In der Tür stieß Ripeka mit Matthew zusammen. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht.
»Ist Maggy auch wieder da? Ich habe sie so unendlich vermisst!«, rief er sichtlich erfreut aus.
Ripeka holte tief Luft und rang sich ebenfalls zu einem Lächeln durch. »Nein, ich hole nur ein paar Sachen. Wir werden in Te Waimate gebraucht, besonders solange die Gespräche zwischen dem Gouverneur und den Häuptlingen andauern.«
»Ist Hone Heke auch dort?«, fragte Matthew aufgeregt.
»Nein, es sind nur diejenigen Stammesführer vor Ort, die verhandlungsbereit sind. Und Hone Heke rückt nicht von seinem Plan ab, die Fahnenmasten so lange zu fällen, bis keine neuen mehr errichtet werden. In Te Waimate schließt man schon Wetten ab, ob er es noch einmal schafft oder nicht«, klärte Ripeka ihn auf.
»Gut, dann grüßen Sie mir die kleine Maggy. Ich hoffe, es geht ihr gut. Bestellen Sie ihr, ich werde sie bald besuchen ...«
»Daraus wird wohl in den nächsten Wochen nichts«, unterbrach ihn Emily barsch. »Es müssen erst einmal die neuen Bibeln gedruckt werden.«
»Gottes Wort ist ja auch wichtiger als eine christliche Tat«, giftete Ripeka und verschwand eiligen Schrittes.
Matthew sah ihr kopfschüttelnd hinterher. »Was ist denn in Ripeka gefahren?« Dann erst sah er, dass Emily bleich wie eine gekalkte Wand war.
»Und was ist mit dir?«, fragte er besorgt. »Bist du krank?«
»Nein, nein, es ist alles gut, mein Junge«, erwiderte Emily und versuchte sich aus der Kirchenbank zu erheben, doch das gelang ihr nicht. Sie war zu schwach und sackte gleich wieder in sich zusammen.
»Du hast doch was.« Matthew war ehrlich besorgt. Dass seine Mutter in letzter Zeit immer häufiger kränkelte, missfiel ihm. Überhaupt war sie seit Monaten nur noch ein Schatten ihrer selbst. Matthew wollte sich gar nicht ausmalen, sie zu verlieren. Um keinen Preis würde er allein beim Reverend bleiben. Dessen Verhalten an Henrys Hochzeitstag hatte Spuren hinterlassen. Und vor allem die Tracht Prügel, die er ihm am nächsten Tag verpasst hatte, nachdem Mister Hobsen ihn wie einen Gefangenen nach Paihia zurückgebracht hatte. Wie besinnungslos hatte sein Vater auf ihn eingedroschen. Matthew versuchte ihm seitdem möglichst aus dem Weg zu gehen. Ohne Emily und ohne Maggy hierzubleiben, nein, das kam für ihn nicht in Frage. Ach, Maggy, dachte er voller Sehnsucht nach seiner kleinen Schwester, ich werde dich trotz der vielen Arbeit recht bald besuchen.
»Ich wollte nur fragen, ob ich dir etwas helfen kann. Ansonsten würde ich nämlich gern schwimmen gehen«, erklärte er und sah sie noch einmal prüfend an. »Und dir fehlt wirklich nichts?«
»Nein, es ist nur diese schreckliche Hitze. Wie kann es im Januar nur so warm sein?«, entgegnete Emily.
»Und brauchst du mich noch?«
Sie schüttelte schwach den Kopf. »Geh nur, mein Junge, es ist ein herrlicher Tag, wenn man diese Temperaturen so wie du vertragen kann.«
Matthew aber blieb noch einen Augenblick lang unschlüssig stehen, bevor er sich auf leisen Sohlen entfernte. Draußen in der Hitze des Sommertages angekommen, wischte er sich zunächst einmal den Schweiß von der Stirn. Er schwitzte stark und freute sich auf eine Abkühlung. Deshalb schlug er den kürzesten Weg zum Strand ein. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass kein Mensch in der Nähe war, zog er sich die verschwitzte Kleidung aus und rannte jauchzend in das tiefgrüne Wasser. Er liebte es, nach getaner Arbeit zu schwimmen. Einmal abgesehen davon, dass ihn das abendliche Bad abkühlte, wusch es ihm den Schmutz der Druckerei und den Staub der Straße vom Körper. Am meisten Spaß machte ihm das Tauchen. Wie ein Fisch bewegte er sich unter Wasser und suchte den Grund nach Meeresschnecken ab. Die aß er dann roh und benutzte ihre grün schillernden Schalen als Augen für seine geschnitzten Figuren. Oder er verkaufte sie an Händler. Pauamuscheln waren bei den Maori beliebt, um daraus allerlei Schmuck herzustellen.
Heute aber hatte er kein Glück. Nicht eine einzige Schnecke hatte sich mit ihren Füßen an dem Felsen festgesetzt, zu dem er hinuntergetaucht war.
Matthew stieg unverrichteter Dinge aus dem Wasser und hockte sich auf ein handtuchgroßes Stück Strand einer winzigen Insel, von
Weitere Kostenlose Bücher