Der Schwur
Versehen in eine Schüssel voller schleimiger Würmer gefasst.
Diese Jagd würde Sonja ihr Leben lang nicht vergessen. Schon bald ließen sie den Wald und die Berge hinter sich und galoppierten über die verschneite Steppe nach Süden. Wenn Sonja sich umschaute, sah sie Elri und Lorin, deren Steppenponys sich anstrengen mussten, um mit Nachtfrost Schritt zu halten, und kaum hundert Meter dahinter sah sie die Gruppe der Reiter mit ihren schwarzen Lederrüstungen und dem grauen Lindwurm, und an ihrer Spitze ritt der Spürer auf einem knochenweißen Pferd. Viel zu schnell hatten die Verfolger sie gefunden.
Sonja wusste genau, dass Nachtfrost all diesen Pferden mühelos davongaloppieren konnte, aber die beiden Ponys konnten es nicht.
Sie schaute nach vorne und sah vor sich die hohen Bäume des Kristallwaldes, deren eisbesetzte Kronen in der Sonne wie Diamanten glitzerten und funkelten. An diesen Wald hatte sie keine guten Erinnerungen. Dort war sie zum ersten Mal wirklich angegriffen worden: von einer Horde bösartiger kleiner Erdgnome, die sie gefangen und vielleicht getötet hätten, wenn ihr der Troll nicht zu Hilfe gekommen wäre. Wenn dieser Troll doch jetzt auch in der Nähe wäre! Aber weit und breit gab es nichts, was einem kauernden Steintroll auch nur entfernt ähnlich gesehen hätte.
»Es hat keinen Sinn!«, schrie Elri. »Die Pferde können nicht mehr!«
Sonja warf einen Blick über die Schulter. Elris Pferd hatte Schaum vor dem Maul und galoppierte mit weit aufgerissenen Augen und fest angelegten Ohren. Lorins Pferd sah ein wenig besser aus, aber sein Atem war nur noch ein tiefes Röhren.
Sie überlegte fieberhaft. Sie konnten in den Wald ausweichen, aber seit ihrem ersten Besuch wusste sie, dass jedes laute Geräusch einen Hagel tödlicher Eisgeschosse aus den Bäumen auf sie niedergehen lassen würde. Und selbst wenn sie das überlebten, würden die Soldaten ihnen immer weiter und weiter folgen. Weil der Spürer das Amulett und Sonja haben und Nachtfrost töten wollte.
Aber Elri und Lorin wollte er nicht haben.
Und plötzlich wusste Sonja, was sie zu tun hatte.
»Wir müssen uns trennen!«, rief sie über die Schulter zurück. »Reitet ihr in den Wald – Nachtfrost und ich lenken sie von euch ab! Wenn ihr bis zu den Tesca kommt, seid ihr in Sicherheit! Und wenn die Pferde sich erholt haben, kommt ihr uns nach!«
»Aber was ist mit euch?«, rief Lorin zurück.
»Keine Angst! Nachtfrost ist schneller als jedes Pferd!«
Lorin zögerte, aber da stolperte sein Pferd noch einmal, und nur ein blitzschneller Griff in die Mähne rettete ihn vor dem Sturz. »Also gut!«, rief er. »Pass auf dich auf, Yeriye!«
»Mach ich! Los, haut ab!«
Sie schwenkten nach links und galoppierten auf den Wald zu.
Hinter ihnen ertönte ein lauter Ruf. Sonja warf einen Blick zurück und sah, dass die bisher geschlossene Gruppe sich zu teilen begann: Drei Reiter nahmen die Verfolgung von Elri und Lorin auf. Verzweifelt überlegte sie, was sie tun konnte, und da wurde Nachtfrost plötzlich langsamer, fiel in Trab und begann zu hinken.
Erschrocken krallte Sonja sich an der Mähne fest. »Was ist los? Bist du verletzt?«
Alles in Ordnung , gab Nachtfrost zurück. Wir müssen sie auf unserer Spur halten, damit sie den anderen nicht folgen.
Ein zweiter lauter Ruf. Die drei Reiter schwenkten zurück, und nun donnerte wieder die ganze Gruppe auf Sonja und Nachtfrost zu. Offenbar wollte der Spürer kein Risiko eingehen. Die Soldaten kamen rasch näher; ihre Schwerter und Rüstungen blinkten in der Sonne. Schon konnte Sonja das fahle Gesicht des Spürers deutlich erkennen. Ihr Magen zog sich voller Angst zusammen.
»Nachtfrost! Bitte – lauf!«
Nachtfrost stieß ein wildes, herausforderndes Wiehern aus, und dann galoppierte er los und stob davon, dass der Schnee nur so spritzte.
Sie ließen den Wald hinter sich und galoppierten weiter nach Süden. Die Steppe lag weiß und unberührt vor ihnen, der Himmel war blau und wolkenlos, aber Sonja hatte keinen Blick für die Schönheit des Landes. Inzwischen war sie zwar daran gewöhnt, stundenlang ohne Sattel durch unwegsames Gelände zu galoppieren, aber nach dieser Hetzjagd taten ihr alle Knochen weh. Sie hatte nie gedacht, dass sie eines Tages vom Reiten die Nase voll haben könnte. Sie wollte nur noch zwei Dinge: Melanie und Darian finden und dann mindestens eine Woche lang schlafen. Aber vorher musste sie – irgendwie – den Spürer loswerden, der ihr mehr Angst einjagte
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