Der Schwur
Buch.
»Schade.« Auf unbestimmte Art war Philipp wirklich enttäuscht. Zwar hatte er nicht erwartet, dass seine kleine Schwester an einem einzigen Wochenende gleich ein ganzes Buch über ihr – und sein – Abenteuer verfasste, aber die Idee hatte ihm wirklich gut gefallen. »Hast du denn Frau von Stetten gefunden?«
Sonja schüttelte den Kopf, ohne auch nur aufzusehen.
»Na schön. Ich geh mal duschen.«
»Mhm«, gab sie zurück und las weiter.
Also ging Philipp in die Dusche und fragte sich vergeblich, was in seine kleine Schwester gefahren war. Vielleicht war sie einfach nur enttäuscht, weil sie die seltsame Vollblutzüchterin nicht gefunden hatte? Aber selbst dann hätte sie ihn doch um Hilfe bitten können, statt so zu tun, als mache es ihr gar nichts aus. Schließlich ging es um Nachtfrost!
Beim Abendessen erzählte Philipp ein paar Einzelheiten von seinem Lehrgang, Paul stieß sein Milchglas um, die Eltern diskutierten über den Einsatz von Beruhigungsmitteln bei psychisch Kranken, und Corinna hielt Diät. Sonja aß zwei Brote mit Schinken, trank ihre Milch aus, murmelte etwas von »Hausaufgaben« und verschwand in ihrem Zimmer. Niemanden außer Philipp schien das zu überraschen.
»Was ist mit Sonja los?«, fragte er, als sich ihre Zimmertür hinter ihr geschlossen hatte.
Die Eltern unterbrachen ihr Fachchinesisch und wandten sich ihm zu. »Was soll denn mit ihr los sein?«
»Seit wann redet sie nicht mehr den ganzen Abend über Pferde?«
»Ist mir gar nicht aufgefallen«, sagte die Mutter.
»Natürlich nicht, du warst ja mit deinen Beruhigungsmitteln beschäftigt. Hast du uns vielleicht welche in die Milch gekippt?«
»Kinderversuche sind verboten«, sagte der Vater. »Obwohl es interessant sein könnte, herauszufinden, ob ihr dann vielleicht alle mal für eine ganze Minute still sein könntet.«
»Mich meinst du damit doch wohl nicht?«, fragte Corinna. »Ich bin schon die ganze Zeit still und das merkt keiner.«
»Ich hab dich doch ununterbrochen Kalorienwerte murmeln hören«, gab die Mutter zurück. »Das zählt nicht.«
»Was ist jetzt mit Sonja?«, fragte Philipp beharrlich.
Corinna zuckte die Achseln. »Pubertät.«
»Innerhalb von drei Tagen?«
»Das geht auch innerhalb von Minuten. Und immerhin hat sie am Samstag diesen Jungen mitgebracht …«
Philipp zuckte zusammen. »Welchen Jungen?«
»So einen schmalen Blonden. Eigentlich gar nicht Sonjas Typ, wenn du mich fragst. Er hatte so einen komischen Namen. David? Darvin?«
»Darian?«
»Von mir aus auch Darian. Ach, und überhaupt ist mein Fahrrad geklaut worden. Aus dem abgeschlossenen Keller! Bringst du mich morgen zur Schule?«
Philipp hörte gar nicht zu. »Jaja. Was war mit Darian?«
»Er hat in deinem Bett geschlafen«, sagte Paul. »Bestimmt hat er etwas kaputtgemacht.«
»Stell dir vor, das hat er nicht«, gab Philipp ungeduldig zurück. »Was haben sie denn gestern gemacht?«
»Nichts«, sagte der Vater. »Als wir aufstanden, war dieser Darian schon weg. Sonja und Melanie haben den ganzen Tag nur gelesen.«
»Hm. Haben sie sich danach vielleicht gestritten?«
»Ganz und gar nicht. Die beiden hängen doch aneinander wie die Kletten. Warum fragst du sie eigentlich nicht selbst?«
»Das habe ich vor.« Philipp stand auf, verließ das Esszimmer und klopfte an Sonjas Zimmertür.
»Was ist denn?«, rief Sonja von drinnen. »Ich war schon gestern mit Abtrocknen dran!«
»Ich bin’s«, sagte Philipp. »Kann ich reinkommen?«
Es gab eine Pause. »Klar«, sagte Sonja dann.
Philipp öffnete die Tür und trat ein. Sonja saß wie vorhin auf dem Bett und hatte ein aufgeschlagenes Buch auf den Knien liegen.
»Ich fasse es nicht«, sagte Philipp. »Sind das tatsächlich Hausaufgaben?«
»Ja, sicher.«
»Um was geht’s denn?«
»Heinrich der Achte oder so.«
»Ist ja spannend.«
»Mhm.«
»Sag mal …« Er schloss die Zimmertür hinter sich und setzte sich auf den Schreibtischstuhl. »Ist alles in Ordnung?«
»Ja, klar. Wieso denn nicht?«
»Ich dachte, ihr drei wäret ganz wild darauf, diese Frau von Stetten zu finden. Stattdessen machst du Hausaufgaben?«
»Wir schreiben am Donnerstag einen Geschichtstest«, antwortete Sonja abweisend.
»Na und? Das hat dich doch noch nie gestört.«
»Ich will aber nicht sitzenbleiben.«
»Hat dir das jemand angedroht?«
Sie zuckte nur mit den Schultern.
»Okay«, sagte Philipp, »das ist natürlich Mist. Hör mal, ich hab morgen und übermorgen frei. Ich werde für dich
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