Der Schwur
Eigentümer des Tieres. Informationen nehmen die örtliche Polizeidienststelle und der Tierschutzverein entgegen. Der Forstwald ist in den letzten Tagen bereits mehrmals
Sonja hatte nicht erwartet, dass es so schnell in der Zeitung stehen würde. Sie bog die Zeitung nach oben, um zu sehen, wie es weiterging, aber da beugte sich »Kiosk-Schmitz«, ein erklärter Kinderhasser, plötzlich aus seinem Ladenfenster. »Und was soll das werden, wenn’s fertig ist? Kaufen oder verschwinden!«
Sonja schrak zurück, wurde rot, stammelte eine Entschuldigung und fuhr hastig davon.
Der Waldhof wirkte jetzt in Regen und Nebel noch viel trostloser als gestern. Sonja stellte ihr Fahrrad im Hof ab, griff nach der Tüte mit dem alten Brot und machte sich auf die Suche nach dem grauen Pferd. Natürlich war es nicht in der Nähe des Waldhofes – es konnte schon kilometerweit weg sein. Aber sie war ziemlich sicher, dass es mitseiner Verletzung nicht gerne laufen würde. Wahrscheinlich versteckte es sich dort, wo Menschen nur ganz selten hinkamen: im Tannenwald.
Der Tannenwald war gruselig. Das fand jeder. Die Tannen ließen nur wenig Licht durch, und zwischen den harzigen, klebrigen Zweigen spannten sich unzählige Spinnennetze. Sonja schlüpfte immer dort durch, wo die Zweige am wenigsten Widerstand boten, und spähte in die Dunkelheit. »Grauer! He, Grauer! Wo bist du?« Ihre Stimme klang recht dünn und war vermutlich keine dreißig Meter weit zu hören, und »Grauer« war natürlich auch kein angemessener Name. Sie musste sich etwas Besseres ausdenken – wenn sie das Pferd überhaupt wiederfand.
Unvermittelt fand sie sich am Rande des Tannenwaldes wieder. Dort führte der Hauptweg entlang, und sie sprang über den Graben und folgte dem Weg, wobei sie aufmerksam zwischen die Bäume spähte. Nach einiger Zeit hörte sie ein Stück hinter sich Stimmen und Fahrradklingeln. Rasch wich sie zum Wegrand hin aus und drehte sich um. Eine Gruppe von sechs Fahrradfahrern radelte auf sie zu; alle trugen Jeans, Regenjacken und Gummistiefel und saßen auf klapprigen Fahrrädern. Sie unterhielten sich lautstark, und als sie vorbeifuhren, schnappte Sonja ein paar Satzfetzen auf.
»– wahrscheinlich misshandelt, in dem Artikel stand ja –«
»– klar, dass sich keiner meldet –«
»– deine Lassokünste ausprobieren, Cowboy!«
Keiner beachtete das Mädchen am Wegrand. Sie fuhren weiter und verschwanden hinter der nächsten Kurve. Irgendwo im Wald klang das Knattern von Mopeds.
Die waren hinter dem Pferd her! Sonja hatte überhaupt nicht daran gedacht, dass Leute den Artikel lesen und dannin den Wald kommen würden, um es einzufangen. Und dann würde sie es nie wiedersehen und ihm nicht helfen können – wie Micky und Bjarni.
Der Gedanke, dass ein Tierarzt dem Pferd vielleicht besser helfen konnte als sie, kam ihr nicht. Rasch sprang sie über den Graben, der zwischen dem Weg und dem Tannenwald entlanglief, und suchte sich ihren Weg durch abgestorbenes Gestrüpp und harzige Zweige zurück unter die dunklen Bäume. Gleich darauf knatterte ein Motorrad hinter ihr den Weg entlang. Vögel stoben auf und verschwanden, das Knattern entfernte sich, und Sonja, die ganz still stand, spürte ihr Herz bis zum Hals schlagen – obwohl doch gar keine Gefahr bestand. Sie beeilte sich, von dem Weg fortzukommen.
Es war ein typischer Forstwald; die Bäume standen in geraden Reihen hintereinander, und dazwischen zogen sich immer wieder Schneisen, in denen ein wenig Gras wuchs. Als Sonja die dritte Schneise erreichte, sah sie den Grauen. Er rupfte ein wenig Gras, aber es schien ihm nicht zu schmecken. Tief ließ er den Kopf hängen und sein Schnauben klang fast wie ein Stöhnen. Er sah noch magerer und kranker aus als gestern. Die Wunde an seinem Vorderbein eiterte und sah schrecklich aus.
»Das lohnt nicht«, hörte Sonja Karl Frickel sagen. »Ab zum Schlachter damit.« Das hatte er auch gesagt, als Bombe, die weiße Ziege, vor einem Jahr ihr erstes und einziges Zicklein bekommen hatte. Es war zu schwach gewesen. Nach drei Tagen hatte Frickel es weggebracht, und danach war Bombe wochenlang auf jeden losgegangen, der in ihre Nähe kam. Das Zicklein war ein weiterer Punkt auf der langen Liste von Dingen, die Sonja und Melanie Herrn Frickel nie verziehen hatten.
Sie stieß ein leises Schnalzen aus. Der Graue hob den Kopf und starrte zu ihr hin. Er trat einen Schritt zur Seite und Sonja hielt den Atem an – aber er lief nicht weg.
Sie erinnerte sich
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