Der Schwur
wegen des etwas zweifelhaften Bruders.«
»Und was ist mit dem Waldhof?«, begehrte Melanie auf. »Wir müssen doch herausfinden, was Frickel mit den Tieren gemacht hat!«
Herr und Frau Vittori wechselten einen Blick. »Nun«, begann Herr Vittori, »wir haben uns etwas anderes für dich überlegt. Was würdest du davon halten, richtige Reitstunden zu nehmen? Ich habe schon ein paar Reitställe in der Gegend ausfindig gemacht. Du könntest ein paarmal probereiten und dann feste Stunden nehmen.«
Als Tochter eines Juristenpaares erkannte Melanie die Mischung aus Ablenkungsmanöver und Bestechungsversuch sofort, war aber nicht sicher, was sie darauf antworten sollte. Ein Teil von ihr wollte ohne Zögern zustimmen. Wie lange hatten sie und Sonja von richtigen Reitstunden geträumt! Und wenn sie jetzt nicht zustimmte, überlegten ihre Eltern es sich vielleicht wieder. Dann hatte sie keinen Waldhof, keine Sonja und keine Reitstunden.
Wenn sie aber zustimmte und dann später noch einmal auf den Waldhof zu sprechen kam, würde ihre Mutter ihr vorwerfen, wie undankbar sie war. So etwas kannte sie schon aus früheren Erfahrungen.
Jetzt gerade beneidete sie Sonja heftig um ihren Bruder. Wenn Sonja irgendwelche Probleme hatte, ging sie damit nicht etwa zu ihren Eltern, weil die ihr nämlich entweder alles sofort verboten oder ihr mitteilten, dass ihre Schwierigkeiten aus psychologischer Sicht überhaupt keine seien, weil es anderen Leuten noch viel schlechter ging. Nein, in solchen Fällen sagte Sonja: »Ich frage Philipp«, und beim nächsten Mal hatte sie das Problem dann gelöst. Melanie konnte Philipp zwar nicht leiden, aber jetzt gerade hätte sie auch gerne einen großen Bruder gehabt, der ihr half, schwierige Entscheidungen zu treffen.
»Nun?«, fragte ihr Vater. »Soll ich dich gleich anmelden?«
Ich frage Philipp, dachte Melanie verzweifelt – und plötzlich war ihr alles klar. Sie wusste nämlich, was Philipp sagen würde, denn der war unbestechlich, weil er sie nicht mochte. Er würde sie spöttisch ansehen und sagen: Klar, mach das auf jeden Fall, wenn du Sonja im Stich lassen willst. Und sie wusste auf einmal, dass es ganz genau das war, was sie nicht wollte. Zum Teufel mit Nele, Annika und allen Reitschulen der Welt!
»Nein«, sagte sie.
Ihr Vater zog die Brauen hoch. »Nein? Wieso denn nicht? Wir dachten, du würdest dich darüber freuen.«
Melanie zuckte hilflos die Schultern. Was sollte sie auch sagen? Ihr Vater würde es vielleicht noch verstehen, ihre Mutter aber ganz sicher nicht.
»Also schön«, sagte Frau Vittori verärgert. »Mir ist es ja gleich, da sparen wir Geld. Ich hätte aber wenigstens ein bisschen Dankbarkeit erwartet, Melanie. Andere Kinder bekommen solche Gelegenheiten nicht.«
»Tut mir leid«, murmelte Melanie.
»Geh in dein Zimmer!«
Das Fegefeuer war vorbei. Melanie flüchtete in ihr Zimmer und schloss sich ein.
Ihr war klar, dass sie mit Sonja reden musste. Der ganze Ärger war nur wegen dieser blöden Sache im Schwimmbad passiert und für so etwas wollte Melanie ihre Freundschaft nicht opfern. Sie würden sich vertragen und gemeinsam herausfinden, was mit den Tieren vom Waldhof passiert war.
Mit diesen ehrenhaften Vorsätzen bewaffnet, radelte Melanie am Sonntagnachmittag durch den Regen und klingelte an der Wohnungstür von Familie Berger. Nach ein paar Minuten öffnete Paul, der stämmige, struppigblonde kleine Bruder, um den sie Sonja nicht beneidete. Er sah sie und warf die Tür ohne das geringste Zögern wieder zu. Blitzschnell warf Melanie sich dagegen und fing die Tür ab.
»Paul, du blöder Spinner! Ich will zu Sonja!«
»Die ist nicht da! Und du hast sie eine blöde, dämliche Zicke genannt!«
»Das geht dich überhaupt nichts an!« Sie trat ein und machte die Tür hinter sich zu. »Sonja?«
»Zicke, Zicke, Zicke ...«
Melanie ballte die Faust, und Paul – aus Erfahrung klug geworden – trat den strategischen Rückzug an und schmetterte seine Zimmertür hinter sich zu.
Im nächsten Moment flog die Tür zum Wohnzimmer auf, und Corinna schoss wutentbrannt heraus. »Paul, ich hab dir tausendmal gesagt – oh! Hallo, Melanie. Willst du zu Sonja? Die ist nicht da.«
»Wo ist sie denn hin?«
»Keine Ahnung.«
Das überraschte Melanie nicht, da Corinna grundsätzlich nur an sich selbst dachte. »Ist Philipp da?«
»Was willst du denn von dem? Keine Ahnung, klopf mal.« Und schon verschwand Corinna wieder im Wohnzimmer.
Mit der lockeren Art dieser Familie
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