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Der Schwur

Der Schwur

Titel: Der Schwur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Vollenbruch
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hatte Waffenstillstand zwischen ihnen geherrscht, aber diese Abfuhr erinnerte Melanie wieder daran, dass sie diesen Kerl nicht ausstehen konnte. Sie fuhr hoch. »Du hast mir gar nichts zu sagen!«
    Sie lief aus dem Zimmer, riss die Wohnungstür auf und warf sie hinter sich zu. »Paul!«, brüllte Corinna so laut, dass es noch im Treppenhaus zu hören war, und Melanie hoffte nur, dass der unausstehliche Bengel eine ordentliche Abreibung bekam, auch wenn er diesmal unschuldig war.
    Gegen ein Moped hatte sie natürlich keine Chance, obwohl sie ordentlich in die Pedale trat. Nach nur drei Straßen wurde sie von Philipp und einer blauen Abgaswolke überholt. Als sie den Feldweg erreichte, war nur noch ein leichter blauer Schleier in der Luft zu sehen und das Knattern nur noch leise zu hören, bevor es ganz verstummte. Aber sie brauchte Philipp ganz bestimmt nicht, um ihr den Weg zum Waldhof zu zeigen!
    An der Senke im Feld erinnerte sie sich an den verletzten Jungen, den sie hier gefunden hatte. Sie hatte ihn schon fast wieder vergessen. Was war wohl aus ihm geworden? Bestimmt hatten sie ihn ins Krankenhaus gebracht, nachdem ihre Mutter den Krankenwagen gerufen hatte. Und offenbar hatte er ihr Handy mitgenommen, denn am Weg sah sie keine Spur mehr davon. Vielleicht hatte auch ein Spaziergänger es gefunden; jedenfalls war es weg. Schwungvoll fuhr sie durch die Senke und rollte dahinter auf den Waldweg, der zum Hof führte.
    Seltsam, wie still es war. Melanie hatte Herrn Frickel nie gemocht, und es war typisch für ihn, dass er ihnen nicht gesagt hatte, was er plante.
    Schon aus einiger Entfernung hörte sie Philipp nach Sonja rufen. Das Moped hatte er mitten im Hof abgestellt, und als Melanie anhielt und sich umschaute, sah sie Sonjas Fahrrad auf dem Boden liegen, ganz verbogen. Ein Eimerlag mitten im Hof in einer großen Pfütze, daneben lagen die Überreste von ein paar Möhren.
    »Sonja!«, rief Philipp. Gleich darauf kam er hinter der Hausecke hervor. Er sah wütend aus. Oder besorgt. »Melanie, habt ihr irgendein geheimes Versteck hier im Wald?«
    »Was geht dich das an?«, gab sie zurück und stellte das Fahrrad ab.
    »Spar dir den Quatsch«, sagte Philipp grob. »Hier ist etwas passiert. Sieh dir das Fahrrad an! Und überall Reifenspuren – und Hufabdrücke ohne Eisen.«
    »Die Ponys hatten keine Eisen«, sagte Melanie und schaute sich beklommen um. »Was soll denn passiert sein?«
    »Kann ich hellsehen?«, schnauzte Philipp sie an. »Also, habt ihr ein Geheimversteck oder nicht?«
    »Nein.«
    »Wohin würde Sonja mit einem kranken oder verletzten Pferd gehen?«
    »Zum Tierarzt?«
    »Quatsch, sie hat doch kein Geld.«
    »Dann hierher, glaube ich. Sie würde es in eine Box stellen und –«
    »Die Boxen sind alle leer.« Er drehte sich um und musterte das Haus, dessen vordere Fensterscheiben zerschlagen waren. »Sonja!«, brüllte er.
    »Sonja!«, rief jetzt auch Melanie. »Wo bist du?«
    Alles blieb still.
    »Guck mal«, sagte Melanie plötzlich. »Die Hufspuren führen ja vom Hof weg!«
    Philipp nickte und kam zu ihr herüber.
    »Und die Reifenspuren gehen hier in die entgegengesetzte Richtung. Einer ist ins Schleudern geraten – die hatten es sehr eilig, von hier wegzukommen.«
    Gemeinsam folgten sie der Hufspur vom Hof auf den Waldweg. Die Abdrücke hatten sich tief in den nassen Boden gegraben und lagen weit auseinander.
    »Voller Galopp«, murmelte Melanie.
    Am Waldrand wurde es einfacher. Das Pferd war geradewegs auf das abgeerntete Feld hinausgaloppiert. Jeder Abdruck war ganz deutlich zu erkennen – bis die Spur plötzlich wie abgeschnitten endete.
    »Das kann doch nicht sein«, sagte Philipp fassungslos und schaute sich um. Irgendwo im Wald keckerte etwas, eine Amsel zwitscherte und verstummte wieder. Aus der Erde stieg der Nebel in feinen Schwaden und die Bäume sahen wie dunkle Gespenster aus.
    »Sonja!«, brüllte Philipp so laut, dass es im Wald widerhallte und Melanie zusammenzuckte. Die Vögel verstummten, und selbst das Rauschen in den Bäumen schien für einen Moment auszusetzen.
    Es kam keine Antwort.

Ü
ber die Nebelbrücke
    Das war nicht der sanfte, schaukelweiche Galopp, von dem Sonja in der Schule geträumt hatte. Es war ein wilder, ungezügelter Ausbruch von Kraft, eine ungestüme Jagd, und hätte das Tier sie nicht tragen wollen, wäre sie keine fünf Sekunden auf seinem Rücken geblieben. Sie krallte sich in der silbernen Mähne fest, die ihr ins Gesicht peitschte, presste die Beine

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