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Der Schwur

Der Schwur

Titel: Der Schwur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Vollenbruch
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»Ich wünschte, der Taithar ließe mich auch mal reiten! Aber natürlich geht das nicht.«
    »Warum denn nicht?«, fragte Sonja überrascht. »Mich lässt er doch auch –«
    »Das ist etwas ganz anderes!« Elri wartete keine Frage ab. »Die Jeravi Ganna möchte dich sprechen. Komm!«
    Ihr Birjak fing an, sich umzudrehen, aber Sonja hob die Hand. »Warte!«
    Die Bewegung stockte. Neugierig blickte Elri zu ihr hinab. »Ja?«
    »Wie komme ich wieder nach Hause?«
    »Der Taithar trägt dich über die Grenze«, sagte Elri bereitwillig.
    »Aber –« Sonja biss sich auf die Lippe. Dann hob sie trotzig den Kopf. »Ich habe ihn gerade darum gebeten. Er hat es nicht getan!«
    »Natürlich nicht! Dafür braucht er den Nebel und außerdem trägst du das Amulett. Komm! Ganna wird dir alles erklären!«
    Es blieb Sonja nichts anderes übrig, als ihr und dem Birjak zu folgen.
    Ganna war die alte Frau, die schon mit Sonja gesprochen hatte. Sie ritt nicht auf einem Birjak, sondern saß auf dem Kutschbock eines offenen Wagens, der von zwei antilopenähnlichen Tieren gezogen wurde. Auf dem Wagen lagen große, in Leder gewickelte Packen, eine Menge langer Holzstangen und zehn große runde Kugeln aus einem Material, das wie dickes Papier aussah. Noch drei solcher Wagen folgten der Herde, aber in der Dunkelheit konnte Sonja nicht erkennen, wer sie lenkte. Ganna lächelte ihr mit ziemlich dunklen Zähnen zu, hielt den Wagen an undklopfte neben sich auf den Kutschbock. »Setz dich zu mir, Yeriye Sonja. Danke, Elri.« Und im gleichen höflichen Ton: »Danke, Nachtfrost.«
    »Marash Jeravi«, antwortete Elri ebenso höflich. »Es war dein Wille, Anführerin«, übersetzte Sonja für sich. Es verblüffte sie immer wieder, dass sie diese völlig fremde Sprache verstehen und sprechen konnte, als sei sie damit geboren.
    Sie rutschte von dem schwarzen Rücken des Einhorns und kletterte auf den Wagen. Nachtfrost schnaubte, bäumte sich spielerisch auf und trabte leichtfüßig davon. Ganna schaute ihm lächelnd nach, dann wandte sie sich an Sonja. »Sitzt du bequem, Yeriye?«
    »Ich heiße Sonja«, sagte Sonja, aber es klang bei Weitem nicht so patzig wie vorhin bei Lorin. »Und ich bin nicht weißer als andere Leute bei uns!«
    Ganna zog die Brauen hoch. »Es ist nicht abwertend gemeint, Kind.« Sie hob die Zügel und trieb die Antilopen mit leichtem Schnalzen an. »Aber ich verstehe, dass du verwirrt bist.«
    »Ich will nur nach Hause. Aber Nachtfrost –«
    »Scht«, sagte die Alte freundlich. »Du fängst am falschen Ende an. Hat man dir nicht beigebracht, dass Geschichten immer vom Anfang an erzählt werden müssen? Erzähl mir deine Geschichte.«
    »Ich habe doch Elri schon alles erzählt. Ich habe Nachtfrost verletzt gefunden und dann kamen ein paar Jungs auf ihren –« Sie stockte. Es gab kein Wort für »Moped« in dieser Sprache. Sollte sie sie vielleicht »rollende Pferde« nennen? Oder etwa »Pferde auf Rädern«? »– jedenfalls wollten sie mir etwas antun, und dann kam Nachtfrost angaloppiert und brachte mich – brachte mich hierher. Ichdachte, er wäre ein Schutzgeist, aber dann habe ich gesehen, dass er ein Einhorn ist. Mehr weiß ich nicht.«
    Ganna hörte zu und nickte. »Wer hat ihn verletzt?«
    »Ich weiß nicht. Die Wunde sah schlimm aus, ganz voller Eiter. Elri sagt, er ist mit einem Messer angegriffen worden.« Allein beim Gedanken daran wurde ihr schon schlecht. »Glauben Sie, dass das stimmt?«
    »Ja«, sagte die alte Frau. »Ich habe mir die Wunden angesehen. Sie stammen von einem Messer und einer Peitsche. Aber was du vielleicht nicht weißt, ist, dass die Taitharas sich eigentlich leicht selbst heilen können, wenn sie verletzt werden.«
    »Aber warum hat er es dann nicht getan?«
    »Das weiß ich nicht.« Ganna lenkte die Antilopen einen Hügel hinauf – und Sonja hielt ganz plötzlich den Atem an.
    Dicht über dem Horizont stand ein blutroter Mond, fast dreimal so groß wie der, den sie kannte. Die Birjaks warfen riesenhafte Schatten, wie Scherenschnitte vor der roten Scheibe. Noch nie hatte sie so etwas Fremdartiges gesehen. Und es war so schön, dass sie von einem Moment zum anderen ihr Heimweh vergaß. Am liebsten wäre sie bis in alle Ewigkeit so weitergezogen: über die weite Ebene unter dem riesigen fremden Mond.
    »Was ist das hier für eine Welt?«, flüsterte sie.
    Auch Ganna betrachtete den Mond, dessen Glanz ihr Gesicht rötlich färbte. »Wir haben keinen Namen für sie«, antwortete sie ruhig. »Wie

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