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Der Schwur

Der Schwur

Titel: Der Schwur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Vollenbruch
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alles rings um sie her. Mindestens vierzig riesige Schatten schritten neben ihr gemächlich unter dem sternübersäten Himmel über die Ebene.
    Sie saß auf einem Birjak! Und sie trug auch nicht ihre eigenen Kleider, sondern ein Hemd und eine Hose aus Wildleder! Vor Schreck fuhr sie hoch – aber ein Arm um ihren Körper hielt sie fest. Eine Jungenstimme sagte dicht an ihrem Ohr: »Ruhig, Yeriye. Dir passiert nichts.«
    »Wer bist du?« Sie wand sich in dem festen Griff, aber er lockerte sich nicht. »Lass mich los! Wo bin ich? Wo ist Nachtfrost? Und Elri? Wo bringst du mich hin? Hilfe!«
    »Wenn du so zappelst, fällst du runter!«, sagte der Junge scharf. »Ich bin Lorin, Elris Bruder. Nachdem du eingeschlafen bist, haben die Jeravi sich beraten und beschlossen, dass wir das Lager früher abbrechen als sonst. Wir ziehen nach Norden, zum Winterlager.«
    »Ich will aber nicht zu eurem Winterlager! Lass mich runter! Ich will nach Hause! Ich gehöre nicht hierher!«
    »Das wissen wir. Was glaubst du, wie weit du kommst, wenn der Spürer dich findet?«
    Bei der Erwähnung des Spürers erschauerte Sonja unwillkürlich. Sie wusste selbst nicht, warum sie sich vor diesem Mann, den sie nicht einmal gesehen hatte, so sehr fürchtete. Trotzdem wand sie sich weiter. »Was will er denn von mir?«
    »Ich weiß es nicht. Frag die Jeravi, wenn wir anhalten.«
    »Hat es etwas mit diesem blöden Amulett zu tun? Ich habe doch gesagt, ich gebe es gerne wieder her! Ich hab’s doch nur gefunden! Ich wollte es nicht behalten!«
    »Was für ein Amulett?«
    »So ein komisches goldenes mit einem Wolfskopf drauf. Hier, ich zeig’s dir. Und du kannst es gerne haben!« Sie zog das Amulett an der Kette heraus, streifte die Kette über den Kopf und hielt dem Jungen das Schmuckstück hin – aber er nahm es nicht. Sie spürte, wie er scharf einatmete, als er es sah.
    »Steck es wieder ein«, sagte er. »Du solltest es wirklich nicht so offen herumzeigen.«
    »Aber ich will es nicht haben!«
    »Und ich darf es nicht nehmen.«
    »Warum denn nicht?« Noch immer hatte sie sein Gesicht nicht gesehen. Aber er schien jetzt nicht mehr zu erwarten, dass sie etwas Verrücktes tat, und lockerte seinen Griff, sodass sie sich umdrehen konnte.
    Im ersten Moment sah sie nur das Weiß der Augen in einem dunklen Gesicht unter einem noch dunkleren Haarschopf. Dann stellte sich ihr Blick richtig ein und sie sah noch mehr: ein Netz dicker, hässlicher Narben, die sichüber die ganze rechte Gesichtshälfte und den Hals hinunterzogen, wo sie unter einem Lederhemd verschwanden. Der Junge mochte etwas älter als Elri sein, aber jede Familienähnlichkeit war durch die schrecklichen Narben zerstört worden.
    Entsetzt starrte sie ihn an. »Was hast du denn gemacht?« Gleich darauf biss sie sich auf die Zunge, aber der Junge zuckte nur die Achseln. »Ich bin als Kind zwischen eine Schattenkatze und ihre Beute geraten«, sagte er so leichthin, als machte es ihm nichts aus. An erschrockene Blicke war er wohl schon gewöhnt. »Ich hatte großes Glück.«
    »Glück?« Sie konnte es nicht fassen.
    Das vernarbte Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. »Sie hätte auch mein Auge erwischen können, Yeriye. So bin ich nur verkrüppelt, aber nicht völlig nutzlos.«
    »Tut es sehr weh?«
    »Nein, ich kann nur nicht gut laufen«, sagte er ganz sachlich. »Und ich kann auch den Taithar nicht reiten – das kann allerdings keiner von uns. Also musst du das Amulett behalten, damit du damit flüchten kannst, wenn der Spürer uns einholt.«
    »Wer ist denn dieser Spürer überhaupt? Was will er von mir? Und was ist das für ein Amulett?«
    »Der Spürer ist ein Diener von Ghadan und Aletheia, die in der Festung Chiarron leben. Das ist in den Bergen im Westen, weit jenseits des Flusses. Und Ghadan und Aletheia sind – nun, sie sind sehr mächtig, und sie verlangen von uns Tribut.«
    »Was ist das?«
    »Das sind Abgaben – Felle, Leder, Jungtiere, Gewürze. Eben alles, was wir haben oder herstellen.«
    »Und ihr gebt es ihnen nicht.«
    Lorin lachte leise. »Oh, doch. Selbstverständlich tun wir das. Sehen wir vielleicht wie Krieger aus, die sich wehren könnten? Wir sind Hirten, Yeriye.«
    Sonja wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Schließlich sagte sie nur: »Nenn mich nicht so. Ich heiße Sonja.«
    »Entschuldige«, sagte Lorin sofort. »Ich wollte dich nicht kränken.«
    Sie nickte.
    Nach einer Pause fuhr er fort: »Jedenfalls ist der Spürer einer von denen, die den Tribut

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