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Der Schwur

Der Schwur

Titel: Der Schwur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Vollenbruch
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einsammeln und nach Chiarron bringen. Das wäre nicht so schlimm, schließlich sind wir ja bereit, den Frieden zu halten. Aber ...« Er verstummte.
    »Aber was?« Allmählich fand Sonja es richtig gemütlich auf dem Rücken des Birjak. Die Bewegung war fast gleitend, wie der Tölt eines Islandpferdes, nur etwas langsamer. Die ganze Herde bewegte sich so vorwärts: ruhig, gleitend, unaufhaltsam. Die Menschen auf ihren Rücken waren still oder unterhielten sich leise. Lorin hustete leicht, und sie drehte sich in ihrem Nest halb um, damit sie ihn ansehen konnte.
    »Der Spürer ist böse«, sagte der Junge. »Ich weiß nicht, ob du es fühlen kannst. Wir können es und wir haben Angst vor ihm. Er hat schon zwei Lager niedergebrannt, nur weil er sich über irgendwas ärgerte. Und Elri sagte, dass er diesmal besonders widerlich war.«
    Sonja erschauerte. »Wen sucht er denn? Er kann doch nicht wissen, dass ich hier bin, oder?«
    Aber Lorin wich ihrem Blick aus. »Darüber kann ich dir nichts sagen. Du musst die Jeravi fragen.«
    »Es hat mit dem Amulett zu tun, ja?«
    »Frag die Jeravi.«
    »Und mit Nachtfrost?«
    »Frag die –«
    »Wo ist er überhaupt? Was ist mit seinem Bein? Ist er in Ordnung?« Sie fing an, die Beine aus dem Nest zu ziehen. Lorin hielt sie noch immer fest – und plötzlich konnte sie es nicht mehr ertragen. »Lass mich los, du Blödmann!«, schrie sie ihn an. »Glaubst du vielleicht, ich falle von einem Vieh runter, das zehnmal so breit ist wie ein Pferd? Meine Beine sind in Ordnung!«
    Ohne ein Wort ließ er sie los und sofort hatte sie ein schlechtes Gewissen. Aber sie war jetzt so wütend, dass sie nicht weiter darüber nachdachte. Wie kamen diese Leute dazu, sie gegen ihren Willen durch die Gegend zu schleppen? Sie zog die Beine an, kniete sich hin und stand dann auf, die Beine leicht angewinkelt und die Arme ausgestreckt, um das Gleichgewicht zu halten. So musste sich Voltigieren auf einem Elefanten anfühlen.
    Sie schaute über die vielen dunklen Tier- und Menschengestalten hinweg. »Nachtfrost!«, schrie sie. »Nachtfrost, wo bist du?«
    Dann sah sie ihn: Weit vor der Herde jagte ein Geschöpf aus Licht und Dunkelheit über einen Hügel. Mähne und Schweif schimmerten wie Sternenlicht. Bei ihrem Schrei hielt er jäh an, drehte sich um und bäumte sich hoch auf. Dann fiel er wieder in Galopp und preschte geradewegs auf die Herde zu. Die Birjaks ließen sich davon nicht stören, verlangsamten nicht einmal ihren Schritt, aber dennoch strebten sie auseinander und bildeten eine Schneise. Nachtfrost jagte mitten hinein, hielt direkt neben Lorins Reittier an und warf sich herum. Er schaute zu Sonja hinauf und schnaubte.
    D u hast viel zu lange geschlafen!
    Sie verlor alle Angst und Wut. Ganz plötzlich fühlte sich alles richtig an. »Halt an«, sagte sie zu Lorin, ohne ihn anzusehen. »Ich will absteigen.«
    Auf ein leises Wort von ihm hielt der Birjak an, knickte in den Knien ein und legte sich langsam und vorsichtig hin. Sonja warf einen ratlosen Blick nach unten. Sie war noch immer mindestens zwei Meter vom Boden entfernt. Aber Nachtfrost schob sich neben den Birjak, und sie hockte sich hin, stieß sich ab – und saß sicher auf seinem Rücken.
    Er wieherte laut und trabte los. Sonja beugte sich vor und vergrub ihre Hände in der silbernen Mähne. Selbst der Geruch war vertraut, ganz anders als der scharfe Rindergeruch der Birjaks. »Lauf los«, flüsterte sie. »Bring mich nach Hause!«
    Sofort fiel er in Galopp. Keine Spur von Lahmheit war mehr zu fühlen und die hässlichen Striemen auf seinen Schultern waren verschwunden. Wenigstens hatten sich diese Leute gut um ihn gekümmert. Aber jetzt wollte Sonja nur noch weg. Nachtfrost galoppierte an den Birjaks vorbei hinaus auf die Ebene, schneller und immer schneller, bis selbst die Sterne sich aufzulösen schienen. Aber trotzdem veränderte sich nichts. Sie waren noch immer auf der Ebene unter einem fremden Himmel. Und irgendwann wurde Nachtfrost langsamer, schlug einen großen Bogen und kehrte zu den Elarim zurück. Er wirkte heiter und zufrieden – als sei alles genau so, wie es sein sollte.
    Sonja dagegen war völlig verwirrt. Warum funktionierte der Wechsel zwischen den Welten nicht mehr? Wollte Nachtfrost sie nicht heimbringen? Oder konnte er es nicht? Was war das für ein verrückter Zauber?
    »Sonja!« Das war Elri, die ihr Birjak aus der wanderndenHerde heraus antrieb und auf sie zukam. »Das war wunderschön«, sagte sie strahlend.

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