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Der Schwur

Der Schwur

Titel: Der Schwur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Vollenbruch
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Melanienoch nie so spät nachts unterwegs gewesen, und obwohl sie Darian einigermaßen überzeugend versichern konnten, dass es in den Waldstücken, dunklen Brückenunterführungen und finsteren Gassen weder Wölfe noch Drachen gab, waren sie doch beide ziemlich nervös. Dabei half es ihnen nicht, dass Darian gelegentlich eine Bürgersteigkante übersah und sich mit einem Riesenkrach auf die Nase legte. Aber es half, dass er trotz aufgeschürfter Hände und Knie sagte, es sei nichts, und wieder aufs Fahrrad stieg. Sonja wusste nicht so recht, ob sie ihn nun mochte oder nicht, aber seinen Mut und seine Zähigkeit konnte sie nur bewundern. Und auch Melanie unterdrückte ihre Jammerei, als sie nach etwa der Hälfte der Strecke das Gefühl hatte, keinen Meter mehr fahren zu können.
    So kämpften sie sich vorwärts durch die Dunkelheit, besorgt, schreckhaft und immer wieder unsicher, ob sie überhaupt noch auf dem richtigen Weg waren, bis nach einer Ewigkeit vor ihnen auf der Straße plötzlich ein Wegweiser auftauchte: noch zwei Kilometer bis Gut Stettenbach.
    »Zwei Kilometer!«, rief Melanie. »Das schaffen wir locker!«
    Sonja spürte, wie sie nervös wurde. Trotz allem, was sie bisher über Magie wusste, und obwohl das Amulett ganz eindeutig funktioniert hatte, konnte sie doch noch nicht so recht glauben, dass sie wirklich durch Zauberei einen echten Hinweis bekommen hatte. Was sollte sie tun, wenn es hier weit und breit weder weiße Bretterzäune noch rote Dächer gab? Darian hatte es gut, für ihn war Magie so alltäglich wie Licht und Luft. Und Melanie war einfach nur neugierig; Zweifel schien sie nicht zu kennen, und sie hatte Nachtfrost noch nie gesehen. Aber Sonja wollte Nachtfrost finden – so sehr, dass ihr Magen sich verkrampfte,wenn sie an ihn dachte. Sie wünschte es sich so sehr, dass sie sicher war, es nicht zu verkraften, wenn er nach alldem nun doch nicht hier war und die Magie nur irgendein billiger Trick gewesen war.
    »Hör mit der Jammerei auf«, sagte sie streng zu sich selbst und trat stärker in die Pedale. »Natürlich ist er hier. Nur noch zwei Kilometer. Nur noch diesen Feldweg entlang. Nur noch unter dieser Brücke durch, und dann sehen wir den weißen Zaun. Ganz bestimmt sehen wir den weißen Zaun! Ich hab ihn gesehen, und er ist da, basta!«
    Sie passierten die Brücke – und da war der Zaun.
    Eine riesige Grasfläche, aufgeteilt in mindestens sechs Weiden, und um jede Weide zog sich ein Zaun aus weißen Brettern. In einiger Entfernung standen ein paar niedrige, lang gezogene Gebäude mit dunklen Dächern. Ob sie rot waren, konnte Sonja in der Dunkelheit nicht erkennen, aber das brauchte sie auch nicht. Ihr Herz schlug bis zum Hals vor Aufregung. Es hatte funktioniert!
    »Das ist es«, sagte sie heiser und räusperte sich.
    Melanie kratzte sich am Kinn. »Bist du sicher?«
    »Ja. Ich versteh’s ja auch nicht, aber – das ist es. Den Ort hab ich gesehen.«
    »Wow«, murmelte Melanie beeindruckt.
    Sie radelten weiter, bis sie zu einer schmalen Straße kamen, die direkt auf den Gutshof zuführte. Auf beiden Seiten zog sich der Zaun entlang. Dahinter waren die dunklen Schatten grasender Pferde zu erkennen.
    »Ob er dabei ist?«, flüsterte Melanie.
    »Glaube ich nicht«, flüsterte Sonja zurück. »Als ich ihn gesehen habe, war er allein.«
    »Hoffentlich ist er nicht schon weg«, murmelte Darian. »Habt ihr es gesehen? Nebel zieht auf.«
    Sie schauten sich um. In der Dunkelheit war es nur schlecht zu erkennen, aber das Licht einer Laterne im Hof schien tatsächlich weiter zu streuen als sonst.
    »Er würde nicht ohne uns gehen!«, zischte Sonja.
    Darian zuckte nur die Achseln. »Er ist ein Taithar, ein Bote der Göttin. Die tun, was die Göttin will.«
    Das klang nicht sehr beruhigend, aber trotzdem wusste Sonja genau, dass Nachtfrost nicht aus ihrem Leben verschwinden würde, ohne sich wenigstens zu verabschieden. Dafür kannte sie ihn schon zu gut.
    Die drei stellten die Fahrräder ab, schlüpften durch den Zaun und näherten sich vorsichtig den Pferden. Einige der Tiere trotteten davon, andere hoben die Köpfe und schauten den Kindern entgegen.
    Nur um sicherzugehen, dass sie nicht an ihm vorbeilief, rief Sonja leise: »Nachtfrost! Nachtfrost, bist du hier?«
    Keines der Pferde reagierte auf den Ruf.
    »Gehen wir zu den Ställen«, schlug Darian vor.
    Leise schlichen sie über die Weide, beobachtet von den Pferden, die sich vermutlich fragten, was das für ein seltsames Spiel sein

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