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Der Schwur

Der Schwur

Titel: Der Schwur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Vollenbruch
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zu ihnen gehen? Sind sie freundlich? Glaubst du, ich kann mich bei ihnen ein bisschen aufwärmen?«
    Nachtfrost schnaubte nur und setzte sich in Bewegung. Vorsichtig trottete er den Hügel hinunter. Nach kurzer Zeit wurden die Leute im Tal aufmerksam. Ein durchdringendes Quäken ertönte, das wie eine schrecklich verbeulte Trompete klang. Eine Gruppe versammelte sich zwischen den Häusern und schaute dem Einhorn und seiner Reiterin entgegen. Sonja erinnerte sich plötzlich an die Nomaden, die sich damals genauso versammelt hatten, um sie zu begrüßen. Ob es ihnen wohl gut ging? Was war aus Elri und Lorin geworden? Fast erwartete sie, denselben förmlichen Ruf wie damals zu hören: »Eliu Taithar Elarim!« Aber das Kleine Volk schaute ihr nur neugierig entgegen. Als Nachtfrost zwischen ihnen stehen blieb, umringten sie ihn, hielten aber gut zwei Meter Abstand.
    Sie waren wirklich klein, kaum größer als Sonja selbst. Spitze Ohren und große, mandelförmige Augen hatten sie auch. Aber damit endete schon die Ähnlichkeit mit den Elfen aus Sonjas Büchern. Eigentlich waren sie ziemlich hässliche, dürre, uralt aussehende Geschöpfe, selbst dieFrauen und Kinder. Ihre Gesichter waren faltig und eingefallen, die Haare waren struppige blonde Mopps auf ihren Schädeln. Hände und Füße waren lang und endeten in scharfen Krallen. Die Wesen trugen bunt bestickte, ärmellose Kittel und hatten ihre krummen Beine mit Fellstreifen umwickelt. Aus großen, hellen Augen schauten sie zu Sonja hoch, einige tuschelten miteinander.
    Sonja zögerte. Eigentlich hatte sie Angst – diese Wesen sahen nur entfernt menschenähnlich aus. Aber ihre Augen waren sanft und freundlich und Nachtfrost schien sich bei ihnen ganz wohlzufühlen. Und sie fror jetzt so sehr, dass sie nur noch in die Nähe des Feuers kommen wollte. Also widerstand sie der Versuchung, ihre Beine aus der Reichweite dieser Krallen zu ziehen, und sagte tapfer: »Hallo.«
    Die dürren Geschöpfe wechselten rasche Blicke, einige zogen sich ein wenig zurück. Ein besonders hässliches, besonders altes Wesen blieb stehen, blinzelte nach oben und sagte mit quäkender Stimme: »Ich grüße dich, Menschenkind. Wer bist du? Warum reitest du dieses Tier?«
    »Ich heiße Sonja. Das ist Nachtfrost. Und ich … das heißt wir … wir sind unterwegs nach Chiarron.«
    Ein Murren ging durch die Reihen der zuhörenden Leute. Ein paar wichen noch weiter zurück.
    »Und was, Menschenkind, willst du in Chiarron?«
    »Ich …« Nachtfrost schnaubte, schüttelte den Kopf und legte ganz kurz die Ohren zurück. Sonja stockte, überlegte fieberhaft und sagte: »Ich suche jemanden. Einen – äh – Freund.« Das war ja auch nicht gelogen.
    Das faltige Gesicht veränderte sich nicht. »Und wer ist dein Freund?«
    »Ein Junge. Den kennen Sie bestimmt nicht.«
    Das Wesen machte die Augen ganz schmal. »Ein Junge? Heißt er Darian?«
    Sonja erschrak. Was sollte sie jetzt sagen? Irgendwie kamen ihr diese Kleinen Leute plötzlich gar nicht mehr freundlich vor. Oder – ihr Herz setzte für einen Schlag aus – war das Erlebnis auf der Nebelbrücke vielleicht nur ein böser Traum gewesen? »Ist er – ist er hier? Und Melanie? Meine Freundin?«
    »Niemand ist hier«, sagte das Männchen. »Aber alle suchen ihn. Soldaten. Krieger. Jäger. Hexen. Alle suchen Prinz Darian. Aber Prinz Darian ist verschwunden. Tot, sagen manche; auf der Flucht vor dem Bösen in den Abgrund gestürzt. Geraubt, sagen andere. Sie trampeln durch unser Dorf, stechen mit ihren Lanzen in die Felldecken. Suchen Prinz Darian.«
    »Hm. Mögen Sie ihn nicht?«, fragte Sonja vorsichtig.
    Der kleine Mann stieß ein heiseres Lachen aus. »Sicher mögen wir Prinz Darian. Wir werden gut auf ihn achtgeben, wenn wir ihn finden.«
    Das klang irgendwie Unheil verkündend. Sonja fühlte sich zunehmend unwohl und wünschte, sie wäre nicht in dieses Dorf gekommen. Aber Nachtfrost stand ganz ruhig, als sei alles in Ordnung. Also musste sie einfach nur vorsichtig sein und durfte nichts Falsches sagen.
    »Hören Sie … mir ist schrecklich kalt. Darf ich mich ein bisschen bei Ihnen am Feuer aufwärmen?«
    »Frierende Menschenkinder dürfen sich an unserem Feuer wärmen. Hungrige Menschenkinder dürfen mit uns essen.«
    Das hieß wohl »Ja«. Sonja zögerte, dann schwang sie das Bein über Nachtfrosts Hals und rutschte auf den Boden.
    Als sie landete, schoss ein scharfer Schmerz durch ihreFüße, sie waren schon zu kalt und steif. »Au!« Sie verlor

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