Der Schwur
ich habe diese Entscheidung nicht getroffen.«
»Ach, geht doch allesamt zum Teufel!«, schrie Melanie, ließ sich in einen Sessel fallen und brach in Tränen aus.
Ratlos schaute Sonja Darian an. Er zuckte nur die Achseln, drehte sich um und ging hinaus.
»Melanie …«, begann Sonja.
»Hau ab! Geh doch zu deinem blöden Einhorn!«
Sonja zuckte zusammen. Das war nicht in Ordnung!
Nachtfrost hatte Melanie nun wirklich nichts getan! Und was konnte sie schon tun – hierbleiben? Elri, Lorin und das Wolfsvolk im Stich lassen? Unmöglich. Aber sie konnte auch nicht einfach wegreiten und Melanie zurücklassen.
Vielleicht konnte sie Asarié doch noch überreden. Auf jeden Fall musste sie es versuchen. Sie drehte sich um, schnappte sich ihre blaue Winterjacke und lief auf den Hof.
Die Kälte traf sie wie ein Schlag. Der Wind war stärker geworden und roch nach Schnee. Sie erschauerte und zog die Schultern hoch. Asarié und Darian standen im Licht des sinkenden Mondes auf dem Hof. Als Sonja sie erreichte, nickte die Frau nur knapp, drehte sich um und ging weiter, und es blieb Sonja nichts anderes übrig, als ihr zu folgen. Sie gingen zwischen zwei Stallgebäuden hindurch. Von drinnen hörte man das Stampfen und Schnauben der Pferde, ein so friedliches Geräusch, dass Sonja sich nicht vorstellen konnte, wirklich in einem Abenteuer zu stecken … aber dann sah sie vor sich ein einzelnes flaches Gebäude, dessen Tür weit offen stand. Im flachen Bodennebel auf der angrenzenden Weide stand das Einhorn wie aus Stein und Licht gemeißelt und Sonjas Herz schlug plötzlich bis zum Hals.
Sie hatte erwartet, das abgemagerte graue Pferd zu sehen, das sie im Wald kennengelernt hatte. Stattdessen zeigte sich Nachtfrost in seiner richtigen Gestalt – pechschwarz, wunderschön, mit Mähne und Schweif wie aus fließendem Silber. Das Horn auf seiner Stirn leuchtete wie ein Stern. Er musste sich sehr sicher fühlen, dass er auf seine Tarnung verzichtete. Der Nebel floss wie eine träge Flut um seine Beine. Mit hocherhobenem Kopf stand er da, die Ohren gespitzt, als lauschte er einem Ruf, den niemand sonst hören konnte. Sobald Asarié, Darian und Sonja ans Gitter traten, setzte er sich in Bewegung und trabte auf sie zu.
»Nachtfrost!« Sonja schlüpfte durch das Gatter, rannte zu ihm und fiel ihm um den Hals. Er schnaubte, senkte den Kopf und rieb ihn an ihrer Schulter.
So blieben sie ein paar Augenblicke lang stehen. Dann sagte Asarié: »Es ist Zeit. Ihr müsst aufbrechen.«
Sonja drehte sich zu ihr um und schaute zu dem weißen Gesicht hoch, das ihr so kalt und fern erschien wie der Mond. »Ich gehe nicht ohne Melanie.«
»Sei nicht albern, Sonja. Los jetzt, steig auf.«
Sonja merkte, wie sie wütend wurde. Nahm diese Frau sie eigentlich überhaupt nicht ernst? Sie war noch immer Sonja, nicht irgendein Möbelstück, das man beliebig verschieben konnte! »Ich habe gesagt, ohne Melanie gehe ich nicht!«
Jetzt schaute Asarié sie an und schien endlich zu merken, dass sie es ernst meinte. »Sonja, ich schätze deine Loyalität sehr, aber könntest du bitte tun, was ich dir sage, und glauben, dass ich es nur gut mit euch meine?«
»Nein! Melanie ist meine beste Freundin, und ohne sie gehe ich nicht!«
»Deine beste Freundin würde in große Gefahr geraten, wenn sie mit euch käme. Etwas Unvorhergesehenes würde passieren –«
»Was denn?«
»Wenn ich das wüsste, wäre es nicht ›unvorhergesehen‹! Jetzt macht euch endlich auf den Weg!«
»Jetzt komm schon«, sagte Darian. »Es geht nicht – sieh es ein.«
»Aber –«
»Du willst Melanie doch nicht in Gefahr bringen?«
»Nein! Aber –«
»Na also.« Er trat zu Nachtfrost und streichelte den schwarzen Hals des Einhorns. »Ich bin froh, dich wiederzusehen, Taithar. Bist du bereit, mich noch einmal zu tragen?«
Steig auf , hörte Sonja. Offenbar hatte Darian es auch gehört, denn er schwang sich sofort auf den glatten Rücken. Von dort oben schaute er auf Sonja herunter. »Komm!«
Sie hatte keine Wahl. Offenbar wollte selbst Nachtfrost nicht, dass Melanie mit nach Parva kam. Sonja fühlte sich wie eine Verräterin, als sie in die silberne Mähne griff und nach einer Sekunde der Verwirrung hinter Darian saß. Sie legte die Arme um ihn und hielt sich fest.
Asarié trat zurück und blickte ernst zu ihnen hoch. »Möge die Göttin über euch wachen, Kinder.«
»Und über dich«, gab Darian förmlich zurück. Nachtfrost schnaubte und setzte sich in Bewegung. Mit jedem
Weitere Kostenlose Bücher