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Der Schwur

Der Schwur

Titel: Der Schwur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Vollenbruch
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seiner Schritte stieg der Nebel höher, bis er schließlich wie durch graues Wasser zu waten schien, dann fiel er in Trab und schließlich Galopp. Sonja schaute zurück, aber sie konnte Asarié nicht mehr sehen. Auch die Stallgebäude, selbst der Mond waren verschwunden, es gab nur noch Nebel und Dunkelheit. Das Geräusch der galoppierenden Hufe änderte sich, klang wie auf Stein; das war die Nebelbrücke, der Weg zwischen den Welten.
    Aus dem Nichts griff plötzlich eine Hand nach Nachtfrosts Mähne. Das Einhorn machte einen Sprung und brach zur Seite aus. Für eine Sekunde riss der Nebel auf; Sonja sah Melanies weißes Gesicht und hörte ihren Schrei: »Nehmt mich mit!« Dann war sie fort, davongewirbelt in den Nebel.
    Sonja war so entsetzt, dass sie nicht einmal schreien konnte.
    Dafür schrie Darian: »Nachtfrost, halt!«
    Nachtfrost hielt so abrupt an, dass sie beide beinahe von seinem Rücken flogen. Mit flach an den Kopf gelegten Ohren stand er da, und auch ohne diese Warnung begriff Sonja, dass die Nebelbrücke ein Ort war, an dem man eigentlich niemals anhalten durfte.
    »Melanie!«, schrie Darian. Sie horchten in die neblige, wirbelnde Dunkelheit, aber alles blieb still. Nur ganz in der Ferne hörten sie ein leises Brausen wie von Wasser.
    »Götter«, flüsterte der Junge aus Parva. »Das hätte nicht geschehen dürfen.«
    »Wir – müssen sie suchen«, presste Sonja hervor, obwohl sie ganz sicher war, dass sie keinen Millimeter vom Weg abkommen durften. Darian schüttelte den Kopf und drehte sich halb zu ihr um. »Du nicht. Du musst das Amulett nach Chiarron bringen – das Leben meines Volkes hängt davon ab. Nachtfrost wird dich beschützen. Ich suche Melanie. Vertrau mir, ich werde sie schon finden!« Und ohne ein weiteres Wort schwang er ein Bein über Nachtfrosts Hals und rutschte nach unten.
    Doch für jemanden, der kein Einhorn war, schien es nicht einmal einen Boden zu geben. Ohne einen Laut versank Darian im Nebel und war verschwunden.

D
as Kleine Volk
    Nachtfrost stand reglos, ein Stern in der Dunkelheit, die einzig sichere Zuflucht in dieser Welt zwischen den Welten. Sonja saß wie erstarrt auf seinem Rücken und versuchte zu begreifen, was passiert war. Gerade eben war noch alles in Ordnung gewesen, und jetzt – »Melanie!«, schrie sie so laut, dass Nachtfrost den Kopf hochwarf und nervös schnaubte. »Darian!«
    Ihr Ruf wurde vom Nebel verschluckt. Sie beugte sich vor und versuchte, etwas zu erkennen, aber wo sie den steinernen Boden der Brücke erwartete, war nur wabernder grauer Nebel. »Darian! Melanie! Wo seid ihr?«
    Kurz entschlossen schwang sie ein Bein hoch, um von Nachtfrosts Rücken zu springen. Aber da traf sie seine Warnung wie ein sengender Blitz. Nicht absteigen!
    Sie zuckte zusammen und blieb, wo sie war. »Aber ich muss Melanie finden! Es ist meine Schuld, dass das passiert ist! Ich hätte noch mal mit Asarié reden müssen, ich hätte – ich muss sie finden!«
    Nachtfrost legte die Ohren an und stampfte mit einem Huf auf. Es gab also doch einen Boden! Aber seine Worte machten alle Hoffnung gleich wieder zunichte. Du darfst nicht absteigen. Der Zauber ist an dich und mich gebunden. Wenn wir uns trennen, sind wir alle verloren.
    Zum ersten Mal hörte sie Angst in seiner Gedankenstimme. »Aber was ist mit Melanie und Darian? Wo sind sie? Können wir nicht zusammen hinter ihnen herspringen?«
    I ch kann die Nebelbrücke nicht verlassen.
    Verzweifelt versuchte Sonja nachzudenken. Was sollte sie jetzt tun? Sie wollte diesen Auftrag nicht erfüllen, das Amulett war ihr egal, sie wollte Melanie und Darian wiederfinden! Und irgendwie war ihr klar, dass Nachtfrost sie letzten Endes nicht daran hindern konnte, abzusteigen. Aber seine Worte hatten ihr Angst gemacht. Irgendetwas Großes stand auf dem Spiel, das sie nicht verstand, und wenn sie jetzt einen Fehler machte, ging womöglich alles kaputt.
    Vielleicht konnte das Amulett ihr helfen? Sie zog es aus der Tasche und hielt es hoch. Aber es blieb kalt und tot, nur ein Stück Metall in ihrer Hand. Entmutigt steckte sie es wieder ein. Sie hatte wohl keine andere Wahl – sie musste tun, was Darian ihr gesagt hatte. Weiterreiten. Das Amulett nach Chiarron bringen und darauf vertrauen, dass er Melanie fand. Sie wollte ganz und gar nicht darüber nachdenken, was passierte, wenn er Melanie nicht fand.
    Nachtfrost schnaubte leise. Von dem fernen Brausen abgesehen, war es das einzige Geräusch in dieser Finsternis. Sonja richtete sich auf

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