Der Schwur
Darian.
Langsam ließ Darian die Hand sinken. Ganz leise sagte er: »O verflucht.«
»Wer sind die denn?«, wisperte Melanie entsetzt. »Sind das auch Dämonen?«
»Nein«, murmelte er. Melanie verspürte eine enorme Erleichterung – bis er hinzufügte: »Das sind Erdgnome; solche wie die, die Sonja angegriffen haben.«
»Sind die gefähr–« Sie brach ab. Einer der Gnome hatte den Speer gehoben und damit nach ihrem Arm gestochen. »Aua! Was soll das?«
»Aufstehen«, sagte das kleine Männchen mit quäkender Stimme, die sie an Micky Maus erinnerte. Aber der böse Blick der gelben Augen würgte jeden Gedanken an Lächerlichkeit ab. Melanie stand auf und stieß sich fast den Kopf an der Höhlendecke. Sie duckte sich und fegte angewidert Erde und Pilzreste vor ihrem Gesicht beiseite.
»Da lang.« Die Worte wurden von einer Bewegung mit dem Speer begleitet, und die Gnome trieben Melanie und Darian in den unterirdischen Gang, Schritt für Schritt einer ungewissen Zukunft entgegen.
I
m Winterlager
Als Sonja aufwachte, hatte sie gerade noch die Zeit, zu erkennen, dass sie in einem Zelt auf einem Bett aus Fellen lag und ein Mädchen mit graubrauner Haut und dunkelbraunen Zöpfen neben ihr stand. Dann warf das Mädchen sich über sie und umarmte sie, bis ihr die Luft wegblieb. »Sonja! Du bist wieder da! Wir haben uns solche Sorgen gemacht! Geht es dir gut? Ist alles in Ordnung? Was war mit dem Spürer? Wohin bist du verschwunden? Sag doch was! Du bist doch nicht krank, oder?«
»Du lässt sie ja nicht zu Wort kommen«, meinte jemand trocken.
»Wieso? Ich bin doch die Ruhe selbst!« Elri lachte, ließ Sonja los und richtete sich auf. »Ich freue mich eben, dass sie wieder hier ist. Geht’s dir gut, Sonja?«
»Ja, natürlich!« Sonja setzte sich auf und zog rasch die dicke Wolldecke bis zum Kinn. Im Zelt brannte zwar ein Feuer, aber es war trotzdem sehr kalt. Elri strahlte sie an, und Lorin saß im Schneidersitz auf einem langhaarigen Fell am Feuer und lächelte, als Sonjas Blick ihn traf. »Schön, dich wiederzusehen, Yeriye.«
»Ich freu mich auch«, sagte Sonja glücklich. »Ich habe mir Sorgen um euch gemacht! Ich wollte nicht weg, aber es war alles durcheinander, und dann hat Nachtfrost mich zurückgebracht, und –«
Elri lachte. »Du kannst noch immer keine Geschichte erzählen! Du musst es alles gleich am Feuer erzählen, allewarten auf dich. Ist es wahr, dass du beim Kleinen Volk warst?«
Lorin schüttelte den Kopf. »Da wirfst du ihr vor, dass sie nicht erzählen kann, und fragst ihr schon Löcher in den Bauch.« Er stand umständlich auf und belastete vorsichtig sein verkrüppeltes Bein. Langsam hinkte er zu Sonjas Bett hin und blieb dort stehen. »Wenn du aufstehen magst, komm nach draußen. Du hast bestimmt Hunger.«
»Ich sterbe vor Hunger«, sagte Sonja. »Ich habe bestimmt zwei Tage nichts gegessen – ich könnte ein ganzes Birjak essen!«
Er grinste über das ganze vernarbte Gesicht. »Versuch’s doch. Ich wette, mehr als ein halbes Vorderbein schaffst du nicht.«
»Ach, komm schon!« Elri war bereits bei der Zeltklappe. »Sonja, wir sagen allen, dass du wach bist. Komm rüber, wenn du fertig bist!« Schon war sie draußen, und ein kalter Windstoß wehte herein und stob ins Feuer, dass die Funken flogen. Lorin folgte ihr langsamer und schloss die Klappe sorgfältig hinter sich. Das Feuer beruhigte sich.
Sonja legte sich erst einmal wieder zurück und genoss den Frieden. Sie war in Sicherheit, Elri und Lorin hatten den schrecklichen Überfall der Soldaten überstanden – und sie freuten sich offen und ehrlich, sie wiederzusehen. Bei ihnen gab es keine herablassenden Bemerkungen wie bei den Mädchen in der Schule … fast wünschte Sonja, sie könnte für immer hierbleiben. Aber das ging natürlich nicht.
Und als ihr einfiel, welche Nachrichten sie den Nomaden brachte, verging ihr auch die Freude über ihre Rückkehr.
Sie schob die Decke zurück und stand auf. Anziehen musste sie sich nicht; die Nomaden hatten sie in all ihrenKleidern ins Bett gesteckt. Nur die Reitstiefel hatten sie ihr ausgezogen. Sie zog sie wieder an und verzog das Gesicht, weil sie so kalt und unbequem waren.
Waschen und Zähneputzen fiel aus. Sie fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, ging zum Zelteingang, schlug die Klappe zurück und stieg durch die Öffnung ins Freie.
Draußen war es bitterkalt. Schnee fiel, ein dünner Nebel aus winzigen Eiskristallen, die ihr ins Gesicht stachen und die bestickten
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