Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen
genau betrachtet, so werdet Ihr auf der Oberfläche desselben einen schmalen Streifen bemerken, welcher ungefähr eine englische Meile von hier aus beginnt und sich bis hinein zwischen die beiden vor uns liegenden Berge zieht. Das ist die lange Reitlinie der Apachen, von denen nach ihrer bekannten Weise immer einer hinter dem andern reitet. Ihr erseht hieraus, in welche Gefahr ein Ungeübter hier sehr leicht gerathen kann. Ihr zum Beispiele würdet von den Apachen vollständig überrascht werden, denn der Nebel ist so dicht, daß Ihr sie erst sehen würdet, wenn es zur Flucht zu spät ist. Der Nebelstreif und die Geier sagen mir, daß die Apachen in spätestens fünf Minuten hier sein werden.«
Er hatte Recht. Der Streif verlängerte sich zusehends in der Richtung auf uns, bis er da verschwand, wo die Reiter sich in gleicher Terrainhöhe mit uns befanden. Dann bemerkte ich nach kurzer Zeit jenen Pferdegeruch, von welchem Old Death während der Nacht mit mir gesprochen hatte, und endlich sahen wir einen Reiter aus dem Nebel hervorkommen, hinter ihm die lange, lange Einzelreihe seiner Kameraden. Als er uns erblickte, hielt er für einen Augenblick an. Dann erkannte er Winnetou und kam in kurzem Trabe auf uns zu. Er war ein Häuptling, denn er trug zwei Adlerfedern im Haarschopfe. Keiner dieser Reiter hatte ein wirkliches Zaumzeug; sie alle führten ihre Pferde am Halfter, und doch war die Lenkung, als sie jetzt im eleganten Galoppe heran kamen, um in fünffacher Reihe Aufstellung zu nehmen, eine so sichere, wie man sie selbst bei einer europäischen Kavallerie nur selten trifft. Die Meisten von ihnen waren mit Gewehren bewaffnet, und nur Wenige trugen Bogen, Lanze und Köcher. Der Anführer sprach eine kurze Weile mit Winnetou, doch konnte ich kein Wort verstehen. Dann gab der letztere einen Wink, und im Nu saßen die Krieger ab. Diejenigen, welche keine Gewehre besaßen, bemächtigten sich der Pferde, um dieselben zu beaufsichtigen. Die Andern schritten in die Enge hinein. Das Lasso, an welchem wir zum Pfade emporgeklettert waren, hing noch dort, und ich sah, daß sich Einer nach dem Andern an demselben hinaufschwang. Das ging Alles so still, geräuschlos und exact vor sich, als ob es lange vorher eingehend besprochen worden sei. Winnetou stand ruhig da, um die Bewegungen der Seinigen mit aufmerksamem Blicke zu verfolgen. Als der letzte von ihnen verschwunden war, wendete er sich zu uns.
»Meine weißen Brüder werden nun erkennen, daß die Söhne der Comanchen verloren sind, wenn ich es so befehle.«
»Wir sind davon überzeugt,« antwortete Old Death. »Aber will Winnetou wirklich das Blut so vieler Menschen vergießen?«
»Haben sie es anders verdient? Was thun die weißen Männer, wenn einer von ihnen gemordet worden ist? Suchen sie nicht nach dem Mörder? Und wenn er gefunden worden ist, so treten ihre Häuptlinge zusammen und halten einen Rath, um das Urtheil zu sprechen und ihn tödten zu lassen. Könnt Ihr die Apachen tadeln, wenn sie nichts als nur dasselbe thun?«
»Ihr thut ja nicht dasselbe!«
»Kann mein Bruder das beweisen?«
»Ja. Wir bestrafen den Mörder, indem wir ihn tödten. Du willst aber auch diejenigen erschießen lassen, welche gar nicht dabei waren, als Eure Dörfer überfallen wurden.«
»Sie tragen ganz dieselbe Schuld, denn sie sind damit einverstanden gewesen. Auch waren sie dabei, als die gefangenen Apachen am Marterpfahle sterben mußten. Sie sind nun die Männer unserer Frauen und Töchter und die Besitzer unsers Eigenthums, unserer Pferde, welche uns geraubt wurden.«
»Aber Mörder kannst Du sie nicht nennen!«
»Ich weiß nicht, was Old Death will. Bei seinen Brüdern gibt es außer dem Morde noch andere Thaten, welche mit dem Tode bestraft werden. Die Westmänner schießen jeden Pferdedieb nieder. Wird einem Weißen sein Weib oder seine Tochter geraubt, so tödtet er Alle, welche zu dieser That in Beziehung stehen. Da drin im Thale befinden sich die Besitzer unserer geraubten Frauen, Mädchen und Pferde. Sollen wir ihnen dafür etwa das geben, was die Weißen ein Kreuz oder einen Orden nennen?«
»Nein; aber Ihr könnt ihnen verzeihen und Euer Eigenthum zurücknehmen.«
»Pferde nimmt man zurück, aber Frauen nicht. Und verzeihen? Mein Bruder spricht wie ein Christ, welcher stets nur das von uns fordert, dessen gerades Gegentheil er thut. Verzeihen die Christen uns? Haben sie uns überhaupt etwas zu verzeihen? Sie sind zu uns gekommen und haben uns die Erde genommen.
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