Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen
ich selbst der unglückliche Held derselben bin. Ich habe das im stillen mit mir abzumachen versucht. Heute jedoch, da wir uns an derselben Stelle befinden, soll es einmal vom Herzen herunter und ihr mögt mir nun sagen, ob man mich einen Mörder nennen kann.«
»Nein, nein!« rief es rundum. »Du bist vollständig unschuldig. Aber wie ist’s mit dem Comanchen? Er entkam?«
»Nein. Wir fanden ihn gar nicht weit von hier im Steingeröll, wo das Pferd gestrauchelt war und ihn abgeworfen hatte. Ihr könnt euch denken, daß es da anstatt einer Leiche zwei gegeben hat. Das ist das Gesetz des wilden Westens; sprechen wir nicht darüber!«
»Und das Gold, die Nuggets! Wir wollen natürlich wissen, welche Schätze ihr damals aus dem Cannon hier mitgenommen habt!«
»Weit weniger als der vortreffliche Anfang vermuten ließ. Es war, als habe ein Racheengel das Gold tief ins Erdinnere verschwinden lassen. Seit meine Kugel den Apachen traf, wurde die Ausbeute von Tag zu Tag geringer, bis sie endlich ganz aufhörte. Wir gruben und arbeiteten noch wochenlang, doch vergeblich. Und was wir mitnahmen, das hat nicht lange vorgehalten; es ist bald alle geworden – beim Wein und beim Spiel. Nur eins ist mir geblieben und wird mich bis an mein Ende nicht verlassen, nämlich die Erinnerung an den Augenblick, da mein Blei den Roten vom Pferde riß. Dieses Bild schwebt mir immer und immer vor, und dazu gellt mir im Ohr der Todesschrei. Es schüttelt mich. Kommt, wollen fort! Ich mag den Ort nicht länger sehen!«
Am »Kai-p’a«
Heigh-day!
gab das eine Ueberraschung, als heut vor Jim Hallers armseligem Blockhause ganz unerwartet dessen jüngster Bruder Bill, der berühmte Westmann, den er jahrelang nicht gesehen hatte, und eine junge, schöne Lady sich von den Pferden schwangen! Jim sprang schnell hinaus, um Bill mit Macht um den Hals zu fallen; dieser ließ das über sich ergehen und sagte dann:
»Gib auch Amely einen Kuß, alter Boy! Sie ist seit zwei Wochen meine Frau, das einzige Kind von Bent Harrison, dem Besitzer der Clear-River Silbermine. Verstanden?«
Jim war zunächst sprachlos; dann rief er um so lauter:
»Bent Harrison?
Heavens!
Das einzige Kind einer Silbermine, welche im vorigen Jahre reine zweimalhunderttausend Dollars ergeben hat, Deine Frau? Und Du ein armer Teufel! Mylady,
sister-in-law,
das ist ein famoser Streich von Euch und ich heiße Euch tausendmal willkommen.«
Er gab ihr einen lauten Kuß oder vielmehr Schmatz auf die blühende Wange und führte dann beide ins Innere des Blockhauses, wo sie von seiner braven Frau und den vier Kindern tüchtig gehandschüttelt wurden, ehe sie sich auf die alten Holzschemel setzen durften.
Am »Kai-p’a«. Zeichnung von G. Montbard.
Während des Nachmittags hatte man vor lauter Neuigkeiten nichts erfahren können. Jetzt ist es Abend geworden; auf dem Herde lodert das Holzfeuer, auf dem Tische steht ein mächtiger Krug mit Ingwerbier, und nun kommt Jim endlich zu der Frage, welche ihm längst auf den Lippen geschwebt hat, wie sein Bruder, der arme Scout, zu der reichen Frau gekommen ist. Bill setzt sich lächelnd in Positur, nickt seiner Amely liebevoll zu, was von derselben freundlich erwidert wird, und antwortet:
»Wir haben uns droben in den Bighornbergen gefunden, an einer Stelle, welche die Indianer Kai-p’a, das ›singende Wasser‹, nennen, und das ging folgendermaßen zu.«
»Ihr wißt wohl, daß der Yellowstone-Nationalpark jetzt nicht mehr nur von kühnen Jägern und Trappern durchzogen wird, er ist vielmehr in neuer Zeit eine von Touristen häufig besuchte Gegend geworden. Man begegnet zuweilen sogar ganzen Gesellschaften von ihnen, bei denen sich auch Ladies befinden, welche die Wunder des Nationalparkes kennen lernen wollen. Diese Leute haben meist keine Ahnung von der Gefahr, in der sie sich befinden. Die Indianer, welche das ungeheuer reiche Territorium haben hergeben müssen, sinnen auf Rache; sie umschleichen ungesehen die Reisenden, und wehe dem, der in ihre Hände fällt! Besonders haben sie es dabei auf die Ladies abgesehen, um sie zu entführen und dann zu zwingen, ihre Squaws zu werden, was für eine gebildete Dame natürlich viel schlimmer als der Tod ist.«
»Ich war von der Bighole-Prärie herüber nach dem Park gekommen, hatte denselben nach allen Richtungen durchwandert und war dabei auf die Spuren vieler einzelnen Indianer gestoßen, welche einem jetzt zu irgend einem Zwecke zerstreuten Jagdtrupp anzugehören schienen. Zuletzt
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