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Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen

Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen

Titel: Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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drüben bei den Weymouthskiefern stehen.
    »Ich schob mich weiter vor, bis an den hohen Rand des Wasserkessels und sah hinab. Dort lag – ein Indianer eng zusammengeduckt hinter mehreren Steinen und ahmte mit geschlossenem Munde durch die Nase den Klang des ›singenden Wassers‹ nach. Es war Avaht-uitsch, der Häuptling der Schlangenindianer; ich kannte ihn.«
     

    Ein Löwe als Kunstreiter.
     
    »Ich begriff, daß er es zunächst auf die Lady abgesehen hatte. Er wollte sie vom Lager weglocken, damit sie beim Ueberfalle nicht verwundet oder gar getötet werden sollte. Er wollte sie unbeschädigt nach seinem Wigwam bringen. Jetzt war sie da am Wasser und ich wußte, daß er in wenigen Augenblicken das Kriegsgeheul als Zeichen zum Angriffe erschallen lassen werde. Das mußte verhütet werden. Schießen durfte ich nicht, da sonst die Indianer sich sofort aus ihrem Verstecke auf die ahnungslosen Weißen geworfen hätten; darum ergriff ich einen schweren, neben mir liegenden Stein, um ihn dem gerade unter mir befindlichen Häuptling auf den Kopf zu werfen. Ich traf so gut, daß der Rote wie tot zusammenbrach.«
    »Da ich mich dabei hatte halb aufrichten müssen, war ich von der Lady gesehen worden. Sie fuhr betroffen in die Höhe. Wie sie mir später sagte, hatte sie mich sofort erkannt. Ich glaubte sie gerettet, hatte mich aber geirrt. In ihrer Nähe lagen einige große Steine, hinter welchen zwei Rote verborgen gewesen waren. Diese hatten meinen Angriff auf den ›Großes Messer‹ bemerkt; sie sprangen hervor, ergriffen die Dame und zerrten sie eiligst hinauf nach den Weymouthskiefern, wo das Pferd stand. Die Lady ließ keinen Laut hören, sie war sprachlos vor Schreck. Auch die beiden Indianer verhielten sich still und zögerten, den Kriegsruf hören zu lassen, da sie sich noch zu nahe bei den Weißen befanden. Ich richtete mich auf, um zu schießen, mußte das aber bleiben lassen, denn die Kerls bildeten mit dem Mädchen eine so verschlungene Gruppe, daß ich die schönen, guten Augen leicht hätte für immer auslöschen können. Ich schnellte mich also zu meinem Pferde, sprang in den Sattel, trieb es in einem weiten Sprunge über den Bach und jagte auf die Weißen zu. An ihnen vorüberfliegend, deutete ich nach hinten und schrie: ›Zu den Waffen, dort sind Indianer!‹ Sie sprangen auf, um sich zu verteidigen, ich aber jagte weiter, um der Lady zu helfen.«
    »Diese war bis zu ihrem Pferde geschleppt worden. Einer der Roten stieg auf; sie wurde zu ihm emporgerissen und -gehoben, dann sprengte der Kerl mit ihr fort, während der andere hinter Felsen und Bäumen verschwand. Ich sah den Reiter mit seiner Beute nach der vorhin erwähnten offenen Prärie galoppiren und schoß ihm nach, kaum zweihundert Schritte von ihm entfernt. Der Damensattel genirte ihn, er mußte die Lady halten, so daß er seine Reitkunst nicht ganz entwickeln konnte. Ich kam ihm immer näher. Nach zwei Minuten hatte ich ihn bis auf hundert, nach drei Minuten bis auf siebenzig Schritte eingeholt. Er sah sich um und bemerkte mich. Die Lady begann, sich zu sträuben; das störte ihn noch mehr. Er griff zum Messer und erhob die Hand wie zum Stoße, um ihr anzudeuten, daß sie sich ruhig zu verhalten habe, und zugleich mir durch diese Pantomime zu sagen, daß er sie lieber töten als mir überlassen werde. Vom Pferde aus durfte ich nicht schießen. Ich wartete also, bis ich mich ihm auf fünfzig Schritte genähert hatte, hielt dann an, sprang aus dem Sattel und richtete das Gewehr auf ihn. Meine Hand zitterte nicht. Um die Lady nicht zu treffen, mußte ich möglichst hoch, nach seinem Kopfe, zielen. Das war ein schwerer Schuß – er krachte; der Rote machte eine Bewegung nach vorn, als ob er von hinten einen Schlag erhalten habe; die Lady entglitt seinen Armen und fiel zur Erde. Ich war gar nicht wieder aufgestiegen, sondern hinterher gerannt. Schon stand ich bei ihr und hob sie auf. Sie war unverletzt, aber vor Entsetzen so schwach, daß ich sie an mich drücken mußte. Sie hielt die Augen geschlossen, doch, alter Jim, Du kannst mir glauben, sie war auch ohne den warmen Augenstrahl so reizend, daß es meinen bärtigen Mund mit unwiderstehlicher Gewalt auf ihre Lippen zog. Der erste Kuß in meinem Leben, aber –
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der letzte noch lange nicht! Doch davon nichts weiter! Ich will nur sagen, daß ich ihr Pferd einfing, sie in den Sattel hob, dann auf das meinige stieg und mit ihr zurückkehrte.«
    »Da hörten wir Schüsse knallen und das

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