Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen
kam mir doppelt ungewöhnlich vor. Wir waren als Gäste, und zwar ganz freundlich aufgenommen und doch gleich beim Eintritte zur Ruhe verwiesen worden. Doch das war eine Folge der Klausur. Das Fremdartige lag weniger in der Situation als in den Personen. Wer waren diese beiden Männer? An dem Weißen kam mir einiges wie bekannt vor, die Stimme, die Augen und die eigentümlich tief eingesenkte Nasenwurzel. Bei wem hatte ich das nur schon gesehen? Am nächsten Tage sollte ich auf die Frage die Antwort bekommen. Der Alte sollte mir seine Gastfreundschaft nicht umsonst angeboten haben.
Wir hatten die Lampe ausgelöscht. Die Tobas schliefen. Ich lag schlaflos, sinnend und grübelnd auf dem Lager. Der Gambusino hatte sich, wie ich am nächsten Morgen erfuhr, hinunter zu unsern Pferden gelegt; der Alte war oben allein. Ich hörte seine halblaute Stimme; er betete ohne Unterlaß; oft erklang ein tiefer Seufzer, zuweilen ein schwer unterdrückter Schrei. Was quälte diesen ehrwürdigen Greis in solcher Weise? Lastete eine schwere Schuld auf ihm? War er vielleicht ein Sünder wie Perdido gewesen? Ich hörte ihn die sieben Worte am Kreuze beten. Das letzte veränderte er in: »Wann ists vollbracht, wann ists vollbracht?« Der Todestag des Herrn war auch für ihn ein schwerer Tag. Hätte er geahnt, daß der, für den er litt, heut einen ebenso schweren
Viérnes santo,
ja, einen noch viel, viel schwerern Karfreitag hatte! – – –
4.
Mañana de pascua
(Ostermorgen)
Endlich doch noch eingeschlafen, erwachte ich erst durch das Geräusch, welches die Tobas verursachten. Ich stand auf und schlug die Matte ein wenig zurück. Die beiden Greise saßen, von der Morgensonne hell bestrahlt, vorn an der Höhle. Ich trat zu ihnen hinaus; sie begrüßten mich freundlich. Wir bekamen Wasser zum Waschen und zum Trinken und dann Brotfladen, aus zerstoßenen Bohnen selbst gebacken. Auf meine Frage, wie ich den Alten nennen solle, antwortete er:
»Sagen Sie Vater, Sennor. Und nun erzählen Sie mir von den drei Comerciantes, welche uns überfallen wollen!«
Ich that dies, so weit es sich auf den Gambusino bezog; was ich sonst noch erlauscht hatte, das ließ ich als nicht hierher gehörig aus. Als ich fertig war, meinte der Vater mit demselben Lächeln wie gestern:
»Diese Leute mögen beabsichtigen, was Sie wollen, sie sind uns ganz ungefährlich. Ich habe während dieser ganzen Nacht an Sie gedacht, Sennor. Sie sind ein Europäer, ein Deutscher und wohl weit herumgekommen. Vielleicht können Sie mir eine Frage beantworten, welche mir lange und zentnerschwer auf dem Herzen gelegen hat. Ist Ihnen der Name Monaco bekannt?«
»Ja, ich bin es,« antwortete ich. »Die Hände in die Höhe, sonst schieße ich!«
»Nicht nur der Name, sondern der Ort selbst. Ich war einige Male da.«
»Um zu spielen?«
»Nein; das thue ich grundsätzlich nicht; sondern ich wollte nur diese Hölle mit ihren gefallenen Engeln und hundertfachen Teufeln studieren.«
»Und das haben Sie gethan?«
»Ja.«
Er blickte lange still vor sich nieder; es wurde ihm sichtlich schwer, zu sprechen; dann sagte er:
»Ich habe früher oft von diesem Ort gehört und gelesen. Der Selbstmord soll dort ohne Unterbrechung wüten. Meinen Sie, daß diese Todesfälle eingetragen werden?«
»Hm, wahrscheinlich, vielleicht aber nicht alle.«
»Und daß man für einen ganz bestimmten Fall dort Aufklärung erhalten kann?«
»Das ist nicht unmöglich. Man müßte aber den Namen und die Verhältnisse kennen.«
»Und an wen hätte man sich zu wenden?«
»Von hier aus brieflich etwa?«
»Das hätte sicher keinen Erfolg. Man müßte eine zuverlässige Person beauftragen.«
»Die aber schwer zu finden ist!«
Ich wußte nicht, wo er hinaus wollte, glaubte aber, ihm die Erreichung seiner Absicht erleichtern zu müssen und entgegnete darum:
»Wohl nicht so schwer, wie Sie meinen. Ich zum Beispiel werde wahrscheinlich über Italien heimkehren und kann da Monaco sehr leicht wieder berühren.«
»Sie, Sennor, wirklich, wirklich?« fragte er schnell. »Aber wie wollten Sie Nachricht geben?«
»Das kann doch viel eher brieflich geschehen als die Anfrage. Wissen Sie jemanden, der eine Auskunft wünscht?«
Er wurde plötzlich ein ganz anderer als vorher; er sprang auf und rief:
»Jawohl, Sennor! Ich bin es selbst, ich selbst! Würden Sie sich meiner annehmen? Würden Sie nach Monaco gehen, um zu fragen?«
»Ja, ja. Da Sie es sind, nun ganz gewiß. Ich müßte aber um Namen, Zeit
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